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Cover Macht der Akademie    Leseprobe "Macht der Akademie"

NEU: Hörprobe

von Neal Skye

Taschenbuch: 300 Seiten, ISBN: 978-3-96050-190-9

Kapitel 1 – Stockholm, Freitag, 21.01.

Berglund stöhnte. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Das Problem ist, wir wollen ja nicht gleich einen Massenmord verursachen. Man weiß nie, ob sie da wirklich allein durchgeht.«

»Ernsthaft?«, fragte Morland verächtlich. »Wer soll denn da noch im Büro sein? Sie kommt als Erste, sie geht als Letzte. Und auf dem Parkplatz steht abends nie ein anderes Auto als ihr alter Saab.«

Berglund schüttelte den Kopf. »Nein, zudem: Du kannst auch nie genau sagen, wo die Kugeln sie dann letztlich treffen. Vielleicht hört sie gerade in dem Moment, wo sie die Selbstschussanlage auslöst, ein Geräusch und dreht sich um. Oder sie findet auf dem Boden ein Geldstück und geht in die Hocke oder was weiß ich? Dann wäre alles umsonst gewesen.«

»Und was wäre, wenn wir nachts bei ihr einbrechen und das Ganze aussehen lassen wie einen Raubüberfall?« Erwartungsvoll sah Morland sein Gegenüber an.

»Das ist auch riskant«, wandte Berglund ein. »Am Ende könnte sie bewaffnet sein. Selbst wenn wir sie zuerst erwischen, würde zum einen die halbe Nachbarschaft geweckt werden und zum anderen steckten dann Kugeln in ihrem Körper. Und wenn wir Pech haben, bleibt uns nur wenig Zeit, die Waffen zu entsorgen.«

»Also sind wir wieder beim Zyankali in ihrem Jasmin Tee?«, stöhnte Morland resigniert.

»Ja, wobei da hast du wieder den bitteren Geruch, der es verraten könnte! Außerdem ist Giftmord so zweites Jahrtausend ...«

Berglund lachte über seinen eigenen Witz. »Würde auch wie gesagt schwierig mit den Alibis. Einer von uns muss ihr das Zeug ja heimlich untermischen.«

»Verdammt, Mats, wie sind Cops, wir müssen doch einen Weg finden, wie man die Alte um die Eck...« Morland stockte und alle weiteren Worte blieben ihm im Hals stecken.

 »Feierabend verschoben, die Herren! In fünf Minuten in meinem Büro. Mats, was ist eigentlich mit dem Bericht vom Einsatz im Säljarehusen von gestern Abend?«

Irritiert sah Berglund seine Chefin an.

»Der ist noch nicht ganz fertig.« Berglund stammelte fast und setzte wieder seine Unschuldsmiene auf, obwohl die bei seiner Chefin noch nie einen Stich gemacht hatte.

»Und wieso ist der noch nicht-ganz-fertig?«, fragte diese ihn, während ihr Kopf zu den letzten drei Worten im Takt übertrieben hin und her wippte.

»Der Einsatz war gestern Abend!«, maulte Berglund. »Und heute waren wir den ganzen Tag …«

»Ja und?«, unterbracht sie ihn, »du warst gestern um sieben im Büro. Gehst du um sieben ins Bett?«

»Nein«, antwortete Berglund konsterniert.

»Na also. Meine Güte, du hast nicht mal eine Frau, die zuhause auf dich wartet!«

Berglund schluckte. Morland war peinlich berührt und ärgerte sich, dass er nicht einmal so tun konnte, als habe er das nicht mitbekommen. Das Gespräch wurde zum Glück vom Klingeln eines Handys unterbrochen.

»Hauptkommissarin Edda Valby! Bitte? Moment«, Valby legte ihre Hand auf ihr Handymikrofon. »Also in fünf Minuten, verstanden? Oder inzwischen in vier dank eurer Plauderei.«

Valby eilte laut redend in Richtung ihres Büros.

»Eines Tages!« Berglund ballte seine rechte Hand zu einer Faust, während Morland zustimmend nickte.

Kapitel 2 – Saltsjö-Duvnäs, Samstag, 09.01., 19h

»Musst du da jetzt ran gehen?« Izabel Gora setzte ihr verführerischstes Lächeln auf und postierte ihren jungen, makellosen Körper so, dass sich das dunkelblaue Satinnachthemd an ihrer Brust leicht spannte.

Es gab Tage, da verfluchte Per-Oluv Gustavsson seinen Beruf. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass er als Inhaber eines der führenden, schwedischen Telekommunikationskonzerne, der sich auf die Herstellung von Mobiltelefonen spezialisiert hatte, an manchen Tagen wünschte, diese Dinger seien nie erfunden worden. Permanent musste er erreichbar sein, musste kurzfristig aufbrechen, Pläne ändern, Entscheidungen treffen. Und nicht selten ärgerte er sich, mit welchen Nichtigkeiten er behelligt wurde, weil sich ein Kollege lieber noch mal absichern wollte, statt zu seiner Entscheidung zu stehen. Er war das personifizierte Sicherheitsnetz für alle Mitarbeiter. Es gab Tage, da wünschte er sich, auch so ein Netz zu besitzen. Ein Inhaber eines Telekommunikationskonzerns ohne Netz. Gustavsson schmunzelte über seinen albernen Gedanken.

Aber ohne all das, was er seinerzeit mit seinem damaligen Partner Calle Lynggaard zusammen aufgebaut hatte, hätte er sich die Villa direkt am Duvnäsviken nie leisten können. Und er zweifelte auch daran, dass er sich eine junge, hübsche Studentin wie Izabel Gora hätte leisten können. Gustavsson war da Realist. Immerhin lagen zwischen den beiden gute zwanzig Jahre! Und doch war etwas anders, als mit all den anderen jungen Frauen, die er zum Trost mit nach Hause nahm, nachdem er seine Frau Siw verloren hatte. Izabel blieb. Zuerst die ganze Nacht, dann ein Wochenende und inzwischen war sie ganz nach Saltsjö-Duvnäs gezogen, hatte hier ihr eigenes Arbeitszimmer und verlegte in den Sommermonaten ihre Arbeiten gerne auf die Terrasse, von der man einen fantastischen Ausblick auf die wunderschöne Bucht hatte. Der größte Unterschied aber zu all den anderen Frauen war der verschwenderisch teure Verlobungsring, der seit anderthalb Monaten ihre Hand schmückte.

»Moment, Iza!«, flüsterte er. Dann drehte er seinen Kopf von ihr weg und griff entschlossen zu seinem Gustavsson Advance 8, dem neuen Stolz des Unternehmens. »Gå!«, sagte er, das Gerät gehorchte und nahm das Gespräch an.

Izabel spitzte die Ohren. Im Büro war um diese Zeit niemand mehr. Am nächsten Tag war Sonntag, da lagen auch keine geschäftlichen Termine an. Was war so wichtig? Aber Gustavsson war zum Telefonieren auf den Balkon gegangen. So sehr sich Izabel auch mühte, sie konnte kein einziges Wort heraushören.

Als Gustavsson dann wieder ins Schlafzimmer hereinkam, lächelte er.

»Musst du noch einmal los?«, fragte Izabel und kniff die Augen dabei so zusammen, als sollten diese ihm andeuten, jetzt keine falsche Antwort zu geben. Aber Gustavsson lächelte nur und zog seinen Pullover aus.

»Nein, wir haben das ganze Wochenende für uns allein. Wie ich es dir versprochen habe.«

Kapitel 3 – Bremen, Mittwoch, 13.01., 12h

»Hat man Ihnen nicht mitgeteilt, dass Sie alle Akten, Aufzeichnungen, Fotos und sonstige Spuren zu diesem Fall nach dem heutigen Treffen zu vernichten haben?«

Privatdetektiv Steffen Kroogmann wich dem scharfen Blick seines Gegenübers aus. »Ein, zwei Mal vielleicht«, antwortete er leise.

»Und warum bringen Sie dann ihre gesammelten Werke zum Treffen mit und legen diese auch noch mitten auf den Tisch?«

Kroogmann stieß einen schweren Atemzug durch beide Backen aus.

»In diesem Ordner ist alles drin, was Sie brauchen. Machen Sie damit, was sie wollen.« Er versuchte, seiner Stimme eine eher teilnahmslose Gelassenheit zu verleihen, und war sich ziemlich sicher, dass ihm das gelungen war, bis ihm die Akte langsam, aber bestimmt wieder direkt vor seine Nase geschoben wurde.

Jetzt nur nichts vermasseln, dachte er. Dafür wird der Job zu gut bezahlt!

»Hat man Ihnen nicht mitgeteilt, dass Sie alle Akten, Aufzeichnungen, Fotos und sonstige Spuren zu diesem Fall nach dem heutigen Treffen zu vernichten haben?«

Kroogmann vernahm die veränderte Tonlage, die eine leichte Gereiztheit vermittelte, sowie die besondere Betonung auf dem Wort »Sie«.

»Okay, ist ja gut!«, erwiderte er und kratzte sich am Hals, was ihm im nächsten Moment ärgerte, da dies ein eindeutiges Zeichen war, dass er nervös wurde.

Ist nicht die erste Personen-Recherche, die ich mache und es wird nicht die letzte sein, dachte er bei sich. Also bleib cool!

»Erzählen Sie mir einfach, was Sie herausgefunden haben.«

Kroogmann nickte.

»Also vorab, ich habe in meiner Karriere schon viele Recherchen gemacht, aber diese hier gibt rein überhaupt nichts her. Ich weiß ja nicht, wonach Sie suchen oder was Sie sich erhoffen zu erfahren.«

Kroogmann machte eine Pause. Hatte er da ernsthaft eine Reaktion erwartet?

»Also gut, der Name der Person ist Marianne Hansen«, fuhr er dann fort. »Sie wohnt in Bremen seit gut zehn Jahren.«

»Geht das bitte etwas genauer?«

Kroogmann verbiss sich einen Kommentar.

»Ihre erste Meldung in Bremen datiert vom 13. Juli 2006, ihre erste kleine Wohnung besaß sie in der Kornstraße.«

Kroogmann drehte seinen Kopf leicht zur Seite und deute mit seiner Hand schräg hinter sich. »Das ist auf der anderen Seite der Weser«, fügte er hinzu.

»Hat es Ihnen geschmeckt?«, fragte die freundliche Bedienung in der Taverne. Kroogmann setzte ein aufgesetztes Lächeln auf und nickte.

»Später ist sie dann nach Walle gezogen, in die Vollersoder Straße. Hausnummer 15, Erdgeschoß. Das ist in der Nähe vom Waller Bad. Und da wohnt sie noch heute.«

»Und sie wohnt da allein?«

»Ja, abgesehen von einer Katze, glaube ich.«

»Entschuldigung: Ich glaube? Sagten Sie: Ich glaube??«

Kroogmann stöhnte.

»Ich bin nie in der Wohnung gewesen. Ich reime mir das zusammen nach der Menge an Katzenstreu, die sie in der Zeit entsorgt hat.«

»Gut, und weiter?«

»Sie fährt jeden Mittwoch zur Arbeit. Heiner Teetzen Spedition. Hat ihren Sitz in der Überseestadt. Meistens fährt sie dort mit ihrem Fahrrad hin. Die anderen Tage arbeitet sie von zuhause aus.«

»Wie praktisch. Und das wissen Sie woher?«

Kroogmann grinste.

»Das weiß ich, weil ich bei der Spedition mal nach ihr gefragt habe.«

»Verstehe. Hobbys, Beziehungen?«

»Jeden Montagabend fährt sie zum Aikido-Training in die Neustadt. Und am Wochenende schlendert sie gerne über den Findorff-Markt, obwohl andere Märkte dichter wären. Beziehungen habe ich keine gefunden, obwohl ich weit zurückgegangen bin.«

»Also keine Männer?«

Kroogmann ahnte, worauf diese Frage zielte und er ärgerte sich ein wenig – er war schließlich kein Anfänger. »Frauen auch nicht«, sagte er dann. »Sie hat eine Freundin aus dem Verein, mit der sie ab und an Essen geht.«

»Was wissen Sie über die Zeit vor Bremen?«

»Da war quasi gar nichts herauszufinden. In ihrem Pass steht, dass sie in Vejle geboren wurde. Das ist in Jütland.«

»Danke. Ich weiß, wo Vejle liegt. Waren Sie dort?«

»Natürlich!«, entgegnete Kroogmann und versuchte, seine Entrüstung herunterzuspielen. »Aber da verliert sich die Spur. Die Firma, für die sie gearbeitet hat, existiert nicht mehr, der Inhaber ist inzwischen verstorben und weitere Mitarbeiter konnte ich nicht auftreiben. Dasselbe gilt für Ihre Eltern, die schon lange nicht mehr leben. Und die letzte gemeldete Adresse war eine Wohngemeinschaft mit ständig wechselnden Mitbewohnern. Keine Chance, da mehr als zehn Jahre später eine Spur aufzunehmen.«

»Klingt fast, als sollte man nichts finden!«

Kroogmann nickte. Daran hatte er auch schon gedacht.

»Und Sie sagen, diese Recherche gibt überhaupt nichts her? Im Gegenteil, Kroogmann. Ganz im Gegenteil.«

Kapitel 4 - Stockholm, Mittwoch, 13.01., 19h30

»Gib es doch endlich zu, du genießt es!« David war kurz davor, seiner Freundin eine zu knallen.

»Gar nichts gebe ich zu!«, schrie sie zurück und mit einer heftigen Bewegung schlug sie ihm mit beiden flachen Händen auf die Brust, sodass David unweigerlich einen Schritt nach hinten machte.

»Wow!«, stieß er irritiert heraus. »Du hast ja wohl keinen Grund, hier ausfallend zu werden!«

»Jetzt pass mal auf«, fauchte sie zurück, »ich hab sehr wohl einen Grund, ausfallend zu werden. Und auch noch ganz was anderes, wenn du so weitermachst!«

»Ich so weitermache?« Davids Stimme wurde nicht nur lauter, sie bekam auch einen aggressiven Unterton. »Was mach ich denn!«

»Du machst mit deiner Eifersucht am Ende alles kaputt!«

»Sie hat recht, David! Wir sind so nah am Ziel!«

Der Angesprochene sah seinen Freund an und schüttelte den Kopf.

»Wenigstens ein vernünftiger Mann hier im Raum«, giftete sie in Richtung David.

»Und du bist jetzt auch ruhig, Iza!«

»Nein, Jonas …«, setzte sie erneut an, aber dieser fuhr ihr barsch über den Mund:

»Iza! Ruhig jetzt. Du hast bislang gute Arbeit geleistet. Der Verlobungsring ist der beste Beweis.«

»Pfff!«, pustete David verächtlich.

»Und du«, Jonas richtete seine Stimme gegen seinen Freund, »hast genau gewusst, worauf du dich einlässt, wenn wir das durchziehen wollen! Sonst brechen wir die ganze Sache ab!«

»Spinnst du?« Iza sah Jonas mit funkelnden Augen an. »Nach all dem, was ich investiert habe? Ihr könnt ja gut reden, ihr habt ja noch nichts gemacht!«

David senkte den Kopf und ging einen Schritt auf Iza zu.

»Tut mir leid. Scheiße man, kann nichts dafür, dass mich der Gedanke rasend macht, wenn dieser alte Knacker …«

Iza ging einen Schritt auf David zu und drückte ihm sanft ihren Zeigefinger auf den Mund. Dann gab sie ihm einen zärtlichen, flüchtigen Kuss.

»Alles was ich sage«, sagte David dann mit einem Lächeln im Gesicht, »ist, dass der Typ nun reif ist. Wir wollten bis kurz vor der Hochzeit warten, aber das Projekt läuft jetzt fast ein Jahr und« – David machte eine kurze Pause und deutete auf Izas Ring – »verlobt sind sie ja schon.«

»Er hat recht, Iza! Lass es uns heute machen. Alles ist seit Wochen genauestens vorbereitet, wir sind jeden Punkt immer und immer wieder durchgegangen.«

Iza atmete tief durch und blickte von Jonas zu David und wieder zurück. Dann nickte sie.

»Dann ist es beschlossen«, grinste Jonas. »In ein paar Tagen sind wir um einhundert Millionen Kronen reicher.«

Iza zwinkerte ihm zu.

»Mach zweihundert Millionen draus – bin sicher, das ist für ihn kein größeres Problem als einhundert Millionen.«

»Yeah!«, lachte Jonas und schlug mit Iza die Fäuste anein­ander.

»Und du meinst, der Typ geht wirklich nicht zur Polizei?«

Fast fassungslos starrte Iza David an.

»Ein bisschen spät, darüber nachzudenken, oder?«

»Und wenn schon«, wandte Jonas ein. »Auch das haben wir hundertmal durchgespielt. Oder meint ihr, die russische Mafia würde sich wegen ein paar Polizisten in die Hose machen?«

Kapitel 5 – Bremen, Donnerstag, 21.01., 22h30

»Ach Papa, du immer mit deinem Sercu. Wenn er so gut war, wie du immer erzählst – warum hält er nicht heute noch den Bahnrekord?«

Lenas Argument war entwaffnend.

»Pass lieber auf!«, ermahnte Lüder Jenke seine Tochter, die mit den Augen rollte und den Blick wieder auf die kürzeste Bahn der Welt wandte. Jahrelang hatte ihr Vater ihr vom Sechstagerennen vorgeschwärmt, vom letzten Abend, der der spannendste war, weil in der entscheidenden Jagd am Ende das Siegerpaar gekrönt wurde. Es gab nur noch zwei Sechstagerennen in Deutschland und auch in vielen anderen europäischen Metropolen war das einstige Spektakel inzwischen ausgestorben. Ihre Eltern hatte sie oft mitgenommen, wenn am Sonntag Kidsday war. Es hieß jetzt ja auch gar nicht mehr Sechstagerennen, es hieß Sixdays. Lena hatte über all die Jahre immer den sportlichen Verlauf in der Zeitung verfolgt und wenn ihre Eltern vom letzten Abend nach Hause kamen, hatte sie immer so getan, als hätten sie sie geweckt. Natürlich hatte sie dann immer wissen wollen, wer denn gewonnen hatte. In diesem Jahr dagegen war es anders. Zum einen war sie inzwischen alt genug, um auch abends in die Stadthalle gehen zu dürfen, zum anderen lief das Studium in Berlin gerade so gut, dass sie sich ein paar Tage Bremen mitten in der Vorlesungszeit gönnen konnte. Sie und ihr Dad hatten sich Karten für jeden Abend besorgt – ein Sechs-Tage-Rennen-Marathon, und heute hatten Jette Joop und Uwe Rohde den Startschuss gegeben.

»Guck dir den Kalz an, der fährt schon wieder raus!«

Kalz/Rasmussen hatten im Vorjahr gewonnen und Kalz war Lenas Lieblingsfahrer. Eigentlich war es immer Iljo Keisse gewesen, aber der war lange nicht mehr in Bremen angetreten.

»Aber am Ende gewinnen De Ketele/Grassmann.«

Lüder Jenke war davon überzeugt, freute sich aber auch darüber, dass diese Einschätzung Lena ärgerte.

»Ach, Papa, du hast keine Ahnung!«

»Wirst schon sehen! Guck!«

Jenke grinste seine Tochter an und zeigte auf Grassmann, der soeben aus dem Feld herausgefahren war. Lautstark feuerte Jenke nach dem Wechsel auf De Ketele diesen an, als er spürte, wie sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Verstohlen sah er zu Lena herüber, die aber gebannt beobachtete, ob das Feld dem Ausreißversuch der Favoriten – zumindest laut ihrem Vater waren sie es – etwas entgegenzusetzen hatten.

»Man, wieso geht denn da keiner hinterher, Papa? Papa?«

»Verstanden, bis gleich.« Jenke verstaute sein Handy in der Hose und sah seine Tochter achselzuckend an.

»Nicht wirklich, oder?«, fragte sie und fügte in einem vorwurfsvollen Ton hinzu: »Papa?«

In Jenkes Kopf ratterte es. Ihm war noch nicht ganz klar, was er mit dem soeben Gehörten anfangen sollte. Jedenfalls nicht, was seine Tochter betraf. War es nun sicherer, in der Halle zu bleiben, oder sollte er sie möglichst schnell in ein Taxi setzen? Der Bulle in ihm drängte ihn zu einer schnellen Entscheidung, der Vater in ihm bestand darauf, Lena erst mal heil aus der Halle herauszubringen. Aber am Ende beschwichtigte der Bulle den Vater und riet zu Besonnenheit.

»Ich muss leider los, es tut mir wirklich leid. Kommst du allein klar?«

»Ich bin schon groß.« Ihr Lächeln erstarb, als sie merkte, dass sie allein lächelte. »Da muss ja was Schlimmes passiert sein …«

Jenke nickte. »Ist es«, antwortete er ihr. Was er ihr nicht verriet, war, dass sie sich gar nicht weit entfernt vom Tatort befanden.

Kapitel 6 – Stockholm, Donnerstag, 21.01., 20h30

Per-Oluv Gustavsson konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal einen Abend im Wirströms Pub in Gamle Stan verbracht hatte. Seit dem Kauf des Hauses in Saltsjö-Duvnäs waren die Ausflüge ins Nachtleben der Stockholms Altstadt deutlich seltener geworden. Ab und an hatte es ihn mittags hierher verschlagen, wenn Kunden unbedingt statt eines guten Restaurants einen typischen, schwedischen Pub kennenlernen wollten. Gustavsson mochte die Atmosphäre im Wirströms. Aber heute waren sie hier, weil ihm auf die Schnelle nichts anderes einfiel. Außerdem konnte man Robert Larsson mitten in der Nacht anrufen, er würde den Weg zu diesem Pub finden, ohne dass er dafür hätte aufwachen müssen. Larsson war überzeugter Single und immer noch fast jeden Samstag unterwegs. Es störte ihn keineswegs, dass die Frauen in den Bars im Gegensatz zu ihm nie älter wurden. Aber heute war weder Samstag, noch musste Larsson geweckt werden. Unterwegs dagegen war er, nämlich schon auf dem Heimweg, als ihn Gustavssons Anruf erreichte. Und es klang dringlich.

»Okay, was ist los?«, fragte er, noch ein wenig außer Atem, nachdem er auf einem Hocker gegenüber von Gustavsson Platz genommen hatte. »Was ist so wichtig, dass du ein Bier mit einem alten Kumpel einem Abend mit deiner neuen Flamme vorziehst? Ich meine, das haben wir seit Jahren nicht mehr gemacht – aber warum gerade heute, und vor allem: Warum musste es sofort sein?«

Gustavsson seufzte. Für einen Moment überlegte er, ob er nachfragen sollte, woher Larsson von seiner Liaison mit Izabel Gora wusste. Andererseits wunderte ihn das nicht besonders, denn sogar die Zeitungen hatten Fotos von den beiden geschossen, als sie ihn zu einer Premiere eines Theaterstückes begleitete. Ihr erster gemeinsamer öffentlicher Auftritt. Er wich Larssons Blick aus, steckte seine Hand in seine Jackentasche und zog ein Handy heraus. Nach ein paar Klicks schob er es seinem alten Kumpan hinüber. Larsson sah ihn irritiert an und nahm das Handy in seine Hand.

»Ach du Scheiße! Per, du musst …«, Larsson sah ihn mit großen Augen entsetzt an, während Gustavsson die Hand hob zum Zeichen, dass Larsson seine Stimme drosseln sollte.

»Was? Damit zur Polizei gehen?« Er schüttelte den Kopf. »Was, wenn die die Drohung wahr machen?«

Vorsichtig schob Larsson das Handy wieder zurück.

»Meinst du, die machen ernst?«

»Keine Ahnung«, entgegnete Gustavsson. »Aber würdest du das Leben deiner Frau aufs Spiel setzen, um es herauszufinden?« Ganz langsam führte er das Bierglas zum Mund und nippte daran. »Wenn du eine hättest?«

Larsson schüttelte den Kopf.

»Ich wusste nicht, dass sie schon deine Frau ist.«

»Wir sind verlobt. Und im Sommer wollen wir in Venedig heiraten.«

Für einen kurzen Moment lachte Larsson auf.

»Was haben Frauen bloß immer mit Venedig? Es ist dreckig, langweilig und völlig überfüllt. Da legen sogar Kreuzfahrtschiffe an, Alter. Kreuzfahrtschiffe!«

Gustavsson zuckte ratlos mit den Achseln und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Er merkte, dass ihm das Bier gar nicht gut bekam. Seitdem er Abend für Abend nach Saltsjö-Duvnäs fuhr, trank er nicht mehr und so hatte das eine Bier, wenngleich auch erst zur Hälfte getrunken, eine stärkere Wirkung als er sie in Erinnerung hatte.

»Okay, ich helfe dir«, sagte Larsson dann. »Aber dir muss klar sein, dass das auch eine Stange Geld kosten wird. Und es gibt keine Garantie.«

Gustavsson sah seinen Freund aus alten Tagen nachdenklich an.

»Ich kenne das Geschäft. Ich bin da eine Weile raus, aber ich weiß, wie das läuft.«

»Gut« sagte Larsson und nickte. »Ein paar Leute sind mir noch einen Gefallen schuldig, also insgesamt kommt es dich deutlich billiger, als wenn du zahlen würdest.«

»Billiger ist eine Sache«, entgegnete Gustavsson und leerte sein Glas in einem Zug. »Sicherer die andere.«

»Okay«, sagte Larsson. »Ich hab ein paar Fragen, wie du dir sicher denken kannst.«

»Selbstverständlich.«

»Die SMS auf deinem Handy ist bislang die einzige Kontaktaufnahme, richtig?« Larsson wartete nicht auf eine Antwort. »Bislang ist also noch nichts über die Form der Geldübergabe gesagt worden. Zweihundert Millionen Kronen – kannst du das lockermachen?«

Nervös fuhr Gustavsson sich durch sein Haar und atmete tief durch.

»Ja, das sollte möglich sein, aber ein paar Tage werde ich dafür benötigen.«

Larsson hob die Augenbrauen und nickte anerkennend.

»Hat sich für dich rentiert, auszusteigen und dein Geld legal anzulegen. Nicht übel. Wären auch vierhundert Millionen problemlos gegangen?«

Gustavsson schüttelte den Kopf.

»Nein, das hätte selbst meinen Rahmen gesprengt.«

»Also kennen sich die Erpresser möglicherweise recht gut mit deinen Finanzen aus.«

»Ja, den Gedanken hatte ich auch schon, aber dazu müsste ich jemanden aus meinem näheren Umfeld eine Geiselnahme mit Erpressung zutrauen.«

»Verstehe. Gut, lassen wir das mal offen.«

Ganz klar, Gustavsson schien davon auszugehen, dass er das ausschließen konnte. Aber Larsson überzeugte das nicht. Man traute so etwas nie jemanden aus dem direkten Umfeld zu und so unangenehm es Larsson war, es lag auf der Hand, nicht nur im näheren, sondern im direkten Umfeld zu suchen.

»Ich muss dich das fragen – was ist mit deiner Freundin? Sie ist jünger als du, richtig?«

»Ja, sie ist jünger«, erwiderte Gustavsson widerwillig. »Wenn die wirkliche Frage ist, ob sie da mit drinsteckt, dann ist die Antwort: Nein.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?«

Gustavsson kratzte sich an der Stirn und beugte sich seinem Gegenüber entgegen.

»Ich verrate dir mal etwas: Der Sex mit ihr ist sensationell! Ich weiß, es gibt Frauen, die sich für weitaus weniger verkaufen, aber ich merke, ob eine Frau im Bett bei der Sache ist oder nicht.«

Larsson hob die Augenbrauen und schob das Kinn hoch. So ganz überzeugt schien er davon noch nicht zu sein.

»Es gibt derzeit eine Masche, die in den Staaten läuft. Ich weiß nicht, ob du davon schon gelesen hast. Reiche Typen lernen russische Frauen über Dating-Agenturen kennen, heiraten sie und nach etwa einem Jahr werden sie entführt und die Ehemänner erpresst. Das ganze meist noch befeuert mit widerlichen Bildern, in denen man die Ehefrauen sieht, wie sie übel zugerichtet wurden. Man vermutet, dass das Organisiertes Verbrechen ist.«

»Glaubst du wirklich, dass die russische Mafia dahintersteckt? Was ist mit den Frauen? Lockvögel, nehme ich an?«

Larsson nickte.

»Ja, aber meist nicht ganz freiwillig. Für manche ist das die vermeintliche Austrittskarte aus der Zwangsprostitution, manche tun das für ihre hoch verschuldeten Familien, was weiß ich. Ist deine Verlobte nicht auch Russin?«

»Polin. Zumindest wurde sie dort geboren. Und ich habe sie nicht über eine Dating-Agentur oder so was kennengelernt.«

Den letzten Satz sagte Gustavsson mit besonders fester Stimme. Als habe er es nötig, solche Wege zu gehen, um Frauen kennenzulernen. Lächerlich!

Larsson aber ging überhaupt nicht darauf ein. Stattdessen fragte er, wie Gustavsson Izabel denn kennengelernt hatte.

»Nicht online!«, wiederholte Gustavsson scharf. Er atmete tief durch und sagte dann, wieder mit ruhiger Stimme: »In diesem neuen Restaurant in der Sturegatan.«

»Diesem überteuerten Edelschuppen?«

Gustavsson grinste.

»Das Essen dort ist außergewöhnlich gut und absolut jede Krone wert. Iza arbeitete dort an drei Abenden in der Woche als Serviererin, um ihr Studium zu finanzieren. Ich führe dorthin gerne Kunden aus, da die meistens sehr begeistert von der Küche dort sind und es außerdem nicht weit vom Büro entfernt ist. Und da ist sie mir aufgefallen. Immer sehr freundlich, immer ein Lächeln auf den Lippen – sie hat eine so wunderbar positive Ausstrahlung, wie man sie heute leider nur noch sehr selten antrifft. Deswegen begann ich, auch allein dort die eine oder andere Mittagspause zu verbringen, und es dauerte nicht lange, da wusste ich, an welchen Tagen sie dort arbeitete. Sie wollte mir hinterher weismachen, sie hätte mich von Anfang an durchschaut, aber das nehme ich ihr nicht ab.«

Larsson schmunzelte. Gustavsson als Romantiker, das passte nur sehr schwerlich in sein Bild über ihn.

»Und dann?«

»Na ja, irgendwann erkannte sie mich natürlich und wir wechselten hier und da ein paar Worte. Ich hatte nicht im Leben mit dem Gedanken gespielt, sie nach einem Date zu fragen.«

»Und doch muss es irgendwann passiert sein …«

»Ja, sie fragte jedes Mal, ob es schmecken würde und eines Tages erwiderte ich, dass sie doch sicher wissen müsse, wie gut die Küche sei. Sie lachte nur und fragte, woher? Sie konnte es sich nicht leisten, in so einem exklusiven Restaurant zu speisen. Und ich antwortete, ich schon. Und dann, mehr so aus Spaß, fragte ich, ob sie ja sagen würde, wenn ich sie mal zum Essen einlade. Und sie lachte nur, ich könne es ja mal versuchen. Da hab ich ihr meine Karte gegeben.«

»Klingt also nach einer zufälligen Begegnung.«

Gustavsson nickte.

»Wie lange hat sie gebraucht, um dann anzurufen? Ich meine, war das mehr oder weniger spontan oder Wochen später?«

»Nein, Wochen später ganz sicher nicht.« Gustavsson versuchte, sich zu erinnern, aber genau vermochte er es auch nicht zu sagen. »Ich glaube, es waren drei Tage, vielleicht vier.«

Also doch kein Romantiker, dachte Larsson. Ein Romantiker wüsste das genauer!

»Okay, was weißt du über sie? Wie lange ist sie schon in Schweden?«

Gustavsson lehnte sich zurück und überlegte, wo er anfangen sollte.

»Ihre Eltern kommen aus Stettin und sind nach Schweden ausgewandert, als Iza neun Jahre alt war. Sie sind beide Ärzte und arbeiten irgendwo oben in einem kleinen Ort im Norden, irgendwo bei Arvidsjaur. Iza wollte dann wegen des Studiums nach Stockholm und so hatten wir irgendwie doch etwas gemeinsam. Ich hab ja in Bremen studiert, aber Stockholm ist für jemanden, der in Lappland aufgewachsen ist, ja auch fast Ausland.«

Larsson machte sich keine Notizen, sog aber jedes einzelne Wort auf, in der Hoffnung, irgendwo ansetzen zu können.

»Gibt es Ex-Freunde? Aus Lappland oder war sie in Stockholm schon mit jemanden zusammen? Wie lange ist sie schon in Stockholm, was sagtest du?«

»Knapp vier Jahre. Und ja, es gab wohl einige flüchtige Beziehungen, aber nichts Ernstes.«

»Na ja, nicht für sie vielleicht«, wandte Larsson ein. »Hast du da Namen?«

Gustavsson schüttelte den Kopf.

»Ja, den Namen von ihrem letzten Freund kenne ich. David Leijonberg. Die studieren zusammen und sind noch befreundet. Ich vertraue Iza da voll und ganz.«

Dem letzten Satz verlieh Gustavsson eine besondere Betonung, als er Larssons skeptischen Gesichtsausdruck sah.

»Und sie hat eine Freundin, ihre ehemalige Mitbewohnerin. Lilija irgendwas, ich find den Namen aber noch. Die sind auch auf Facebook befreundet.«

»Gut« sagte Larsson und schob Gustavsson ein Handy rüber. »Wenn dir noch was einfällt, ruf mich an. Aber nur mit diesem Handy. Eines noch ...«

Bedeutungsvoll blickte er Gustavsson in die Augen.

»Wenn die Maschinerie einmal gestartet wurde, gibt es kein Zurück mehr. Und es gelten die Regeln der Akademie.«

Entschlossen erwiderte Gustavsson Larssons Blick.

»Ich weiß. So wie damals.«

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Textprobe: Neal Skye

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