Leseprobe "Die Kristallkinder und die Suche nach dem Gralskelch"
von Mirjam Wyser, mit 12 ganzseitigen Illustrationen von Gabriele Merl
Die ist Band 4 der "Kristallkinder"-Reihe. Die einzelnen Bände können unabhängig voreinander gelesen werden.
Alter: 5 - 12 Jahre, Taschenbuch, 300 Seiten, ISBN: 978-3-96050-227-2
Inhalt
Vorwort
Unerwarteter Besuch
Es kann losgehen
Tarnkappe
Der Spukwald
Die Suche beginnt
Der geheimnisvolle Tunnel
Der prächtige Vogel
Eintauchen ins kalte Wasser
Vier Bäume
Der Zauberspiegel
Die Baumhöhle
Der Felsspalt
Nur keine Schwäche zeigen
Die Zwerge Munkel und Zwieback
Nebeldampf
Begegnung mit zwei Drachen
Begegnung mit einem Dschinni
Der geheimnisvolle Friedhof
Das magische Dreieck
Der Tempel der weißen Träne
Der Kristallschädel
Der Kapuzenmann
Ein Riese
Erdenwelt Sternenwelt
Sternenpalast
Die Göttin
Magische Entfesselung
Die magische Sternblume
Die Drachenreiter
Zurück
Wieder daheim
Mariams Mutter
Über die Autorin Mirjam Wyser
Weitere Werke der Autorin Mirjam Wyser
Vorwort
Ich grüße jeden Einzelnen, der dieses Buch liest.
Was ihr in den Händen haltet, ist kein gewöhnliches Buch! Ich erzähle euch eine Geschichte, die ihr so noch nicht kennt. Es ist eine Geschichte, die von der Spiegelwelt erzählt. Sie schlägt eine Brücke zwischen der unsichtbaren Welt und der sichtbaren Welt. Wir reisen in diese geheimnisvolle Welt, die von Urbeginn an existiert. Sie führt zu Toren in einer fremden Dimension, die zu durchschreiten sind. Doch wo ist der Eingang? Gut, dass es Pino gibt, das kleine Auto! Denn er weiß mehr über das Geheimnis dieser Welt, die verborgen und geschützt vor unerwünschten Besuchern ist. Wer diese Welt finden kann und eintreten darf, wird am Glanze seines Lichts, das ihn umgibt, erkannt. Auf diesem Pfad wird das Bemühen nie zunichte gemacht, schon ein bisschen guter Wille kann den Suchenden beschützen und weiterbringen.
Jeder Mensch ist ein Stern, der an den Körper gebunden ist. Je heller sein Stern leuchtet, umso besser geht es der Welt.
Unerwarteter Besuch
Der Morgen schleicht dahin wie eine alte Schnecke. Dann endlich rückt der Zeiger der Uhr auf 11:42 Uhr. Noch drei Minuten und dann klingelt die Glocke. Wochenendstimmung kommt auf. Noch die letzten Sekunden, bis die Schulhausglocke den Beginn des Weekends ausruft. Alle Schüler stehen an ihrem Platz. Die Stühle sind hochgestellt, die Schultaschen gepackt und die Fenster geschlossen. Kurz bevor es läutet, wünscht Herr Bommer seiner Klasse ein schönes Wochenende und weist noch auf die große bevorstehende Matheprüfung der kommenden Woche hin. Ein Stöhnen geht durch das Klassenzimmer.
Als der Gong endlich den Raum erfüllt, stürmen alle nach draußen auf den Flur, poltern die Treppe hinab, um schnell ins Weekend zu starten. Mariam und Mattis schlendern gemütlich plaudernd durch den langen Flur zum Hauptportal. Sie gehen über den Pausenhof zu einem Hintereingang und gelangen auf eine von Bäumen gesäumte Seitenstraße. Von hier brauchen sie nur noch einen kleinen Platz zu überqueren, durch eine schattige Gasse zu gehen, um dann den Bürgersteig zu betreten.
Auf zwei Bahnen, die von einem Grünstreifen getrennt sind, rollt der Verkehr. Auf dem Bürgersteig strömen zahllose Menschen aneinander vorbei. In der Mitte der Straße, an einer Haltestelle, fährt gerade eine Straßenbahn ein.
»Los, ihr zwei!«, rufen zwei Mädchen. »Wir fahren mit! Kommt ihr auch?«
»Nein, wir gehen ein Stück zu Fuß!«, ruft Mattis zurück.
Es ist schon einige Monate her, seit sie in der Goldenen Stadt mit Pino, dem fliegenden Auto, gewesen sind. Es ist ihr absolutes Geheimnis. Heute ist wieder Freitag, der dreizehnte. Bis jetzt ein ganz gewöhnlicher Wochentag.
Mariam und Mattis schlendern lässig die Straße entlang und diskutieren über die bevorstehende Matheprüfung. Sie scheinen überhaupt nicht in Eile zu sein, obwohl es Mittagszeit ist und beide Hunger haben. Sie blicken die Straße entlang, zwei Schulbusse stehen da, die von den Kindern gestürmt werden. Mariam und Mattis bummeln daran vorbei. Einige Kinder im Bus klopfen ans Fenster und machen faxen. Plötzlich bleibt Mattis wie angewurzelt stehen und starrt auf die andere Straßenseite.
»Was hast du? Hast du einen Geist gesehen?«, kichert Mariam.
Auf der Straße herrscht Geschäftigkeit und buntes Treiben. Mattis starrt einige Minuten auf ein Auto auf der anderen Straßenseite.
»Mich laust der Affe! Dort drüben steht doch der kleine Pino!«, frohlockt er.
Mariam schnappt nach Luft. »Ja, du hast recht! Das ist tatsächlich der kleine Pino!« Sie schüttelt erfreut den Körper, als möchte sie ein Freudentanz machen.
»Ich dachte schon, der Pino hat uns vergessen!«, hakt Mattis nach.
»Das Leben hat bestimmt wieder eine besondere Überraschung für uns! Gilt es wieder, die Welt zu retten?«, schmunzelt Mariam.
Beide rennen über die Straße, verfolgt von einem Hupkonzert. Ein Autofahrer lässt die Scheibe herunter und schimpft wie ein Rohrspatz, weil er wegen den unvorsichtigen Jugendlichen abrupt bremsen musste.
»Habt ihr Tomaten auf den Augen? Oder das Hirn abgestellt?«
Neugierige Blicke der Mitschüler verfolgen das Geschehen. So ziemliche jeder weiß, dass die beiden ein Geheimnis haben. Genau in diesem Augenblick starten die Schulbusse die Motoren und reihen sich in den Verkehr ein. Nach ein paar Metern biegen sie in eine andere Straße ein und weg sind sie. Sehr zum Ärger der neugierigen Schüler. Zu gerne hätten sie gesehen, wieso Mattis und Mariam wie ferngesteuert über die Straße gerannt sind.
In einem Freudensturm begrüßen sie Pino.
Dieser meint kühl: »Psst! Nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen, wir werden beobachtet.« Schelmisch meint das kleine Auto dann: »Ich habe gerade eine gute Gelegenheit zur Flucht genutzt und bin ausgebüxt. Nun muss ich achtgeben, dass meine Besitzer mich nicht so schnell finden können. Die Zeichen für eine kleine Reise stehen gerade günstig! Kommt ihr mir?«
»Klar kommen wir mit!«, meint Mattis. »Mariam, zieh dir was Hübsches an, wir machen einen Ausflug!«, jubelt er in überschwänglicher Begeisterung.
Mariam gibt Mattis einen Schubs. »Du Witzbold!«
Ein Gefühl für ein neues Abenteuer steigt in ihnen hoch.
»Kommt, steigt ein, langweilig wird es bestimmt nicht. Und etwas Mystik ist auch immer dabei, wenn wir drei einen kleinen Ausflug machen«, schwärmt Pino.
Mattis grinst und meint: »Klar wird das wieder Ärger geben, aber da müssen wir durch! Steigen wir ein! Etwas Abenteuer haben wir uns verdient!«
Mariam lacht zustimmend! Und schwups sitzen die beiden in dem kleinen Auto.
»Schließlich bist du eine Weltsensation!«, schwärmt Mattis.
Pino füllt sich von dem Lob geehrt!
»Wo wollen wir hingehen? Macht einen Vorschlag!«, sagt Pino.
Die beiden überlegen. Dann macht Mattis einen Vorschlag.
»Vielleicht können wir einen kleinen Abstecher in einen supermodernen Freizeitpark mit coolen Achterbahnen machen, bevor wir dann die Welt retten. Mit den riesigen Wasserrutschen, wo man in Baumstämmen sitzt, in schwindelerregenden Höhen kriecht und dann im Höllentempo hinuntersaust und dabei das Wasser nach allen Seiten spritzt. Und die dabei entstehende riesige Wasserwand durchnässt alle, die Umkreis von mehreren hundert Meter stehen.«
Er kommt richtig ins Schwärmen, bis er den strengen Blick von Mariam erhascht. Sie schaut Mattis bestimmt an und schüttelt nur den Kopf.
»Das machen wir sicher nicht. Du wolltest schon bei der letzten Entdeckungsreise in einen Freizeitpark. Dazu brauchen wir den Pino wirklich nicht. Mit ihm können wir eine Zeitreise machen, was sonst unmöglich ist. Mit Pino erlebt man Außergewöhnliches. Wenn wir schon in einem geheimen fliegenden Auto sitzen, dann soll es an einen mystischen Ort gehen. Irgendwohin auf der Welt, wo es geheimes Wissen gibt. Auch wenn es bei dieser Art von Abenteuer manchmal echt viel Nerven braucht.«
Mattis gibt Mariam recht.
»Das wäre zu einfach, einen Freizeitpark besuchen, wo man auch mit der Familie hingehen könnte! Doch ein kleiner Abstecher wäre trotzdem toll gewesen! Mach du mal einen klugen Vorschlag, Mariam!«, fordert Mattis.
Mariam überlegt: »Venedig, in Italien! Die Stadt ist auf sumpfigen Inseln gebaut. Mit über vierhundert Brücken wurden sie miteinander verbunden. Die Kanäle dienen als Straßen! Oder Paris in Frankreich mit dem Eiffelturm! Oder …«
»Nein, das geht nicht, zu viele Touristen bevölkern diese Städte! Ist auch zu wenig spannend für Pino und uns!«, sagt Mattis.
»Das Matterhorn in Zermatt in den Schweizerbergen wäre noch eine Idee. Pino könnte uns auf dem Berggipfel absetzen! Wir könnten eine tolle Skifahrt mit dem Snowboard über Schnee und Eis und Gletscher manchen!«, kichert Mariam.
Mattis überlegt und kratzt sich am Kopf: »Kannst du überhaupt so gut Ski oder Snowboard fahren?"
»Ich kann alles!«, grinst sie.
Mattis glaubt ihr nicht wirklich: »Machen wir lieber eine Zeitreise!«
»Wie du willst. In die Vergangenheit oder in die Zukunft? Und wohin? Japan? Bali? Indien?«, fragt Mariam.
Mattis überlegt. Von ihm kommt spontan keine Antwort. Großes Schweigen herrscht.
»Vielleicht auf den Borobudur!«, macht Pino den Vorschlag.
»Wo soll das sein?«, fragen sie.
»Borobudur ist eine der größten buddhistischen Tempelanlage in Südostasien, auf der Insel Java in Indonesien. Erbaut wurde sie zwischen den Jahren 750 und 850. Oder wir gehen auf die Suche nach dem Mount Kailah, das ist der heiligste Berg Tibets. Seine Spitze hat eine außergewöhnliche symmetrische Form. Er gleicht einem Kristall oder einer Pyramide. Immer ist er mit Schnee bedeckt. Wegen seiner religiösen Rolle darf der Berg nicht bestiegen werden.«
»Beides hört sich mega spannend an! Am liebsten möchten wir beides sehen!«, antwortet Mariam.
Mattis holt sein Handy hervor und googelt. »Borobudur ist einer der größten buddhistischen Tempel in Südostasien. Der eindrucksvolle Tempel liegt auf einem Hügel vierzig Kilometer nordwestlich von der Stadt Yogyakarta und ist eines der größten buddhistischen Heiligtümer. Das monumentale Bauwerk ist wie eine Stufenpyramide gestaltet. Die Anlage sticht aus der Umgebung hervor wie ein Ufo aus einer anderen Welt!«
Dann sucht er nach dem Mount Kailash! »Mount Kailash, der heilige Berg Tibets, das kostbare Juwel im Schnee, der Mittelpunkt der Welt, an dem vier der größten Flüsse Asiens entspringen. Undurchdringliche Geheimnisse ranken sich um den Berg. Kein Sterblicher darf den Berg besteigen, wo sich unter den Wolken der Aufenthaltsort der Götter befindet. Wer es trotzdem wagen sollte, wird getötet, heißt es in den alten tibetischen Schriften. Schon zahlreiche Gelehrte versuchten, die geheimnisvollen verstecken Welten des heiligen Berges und die unbekannte Weisheit des Königreichs Shivas zu ergründen. Im Berg soll es Hohlräume geben, sogar Außerirdische sollen dort gesichtet worden sein. Der Berg hat lauter ungelöste Geheimnisse! Uff, das ist ja unglaublich interessant, was ich hier lese!«
»Das habe ich ja gesagt! Das googeln hättest du dir ersparen können«, meint Pino gekränkt.
»Man wird ja wohl noch googeln dürfen!«, gibt Mattis zur Antwort.
»Ach, die Jugend, nichts geht mehr ohne Handy!«, seufzt Pino.
Mariam und Mattis können sich nicht einigen, wohin die Reise gehen soll. Aber eins wissen sie jetzt schon bestimmt: Es gibt noch so viele Geheimnisse auf der Erde, dass sie noch mehrmals mit Pino herumreisen könnten.
»Pino, du kannst entscheiden, wo du uns hinbringen willst. Die Begegnung mit Deva aus der Goldenen Stadt war beim letzten Ausflug ein einmaliges Erlebnis! So etwas möchten wir wieder erleben. Es gibt ja Geheimnisse auf der Welt, die nicht jeder kennt? Wir beiden kennen sie auch nicht!«
Mariam überlegt angestrengt, was es noch zu entdecken gibt, während Mattis den Bordcomputer startet, um die Reise zu beginnen.
»Geheimes Wissen! Verborgene Welt! Verborgene Stadt!«, murmelt er vor sich hin!
Pino wartet geduldig, um die Reise zu starten. Aber wie es scheint, hat Mattis die richtige Eingabe, um das Projekt zu starten, noch nicht gefunden.
»Meine Lieben, das Bild vom geheimen Wissen ist eigentlich nicht ganz richtig. Das Wissen ist nicht wirklich geheim. Die meisten Menschen können es nur nicht wahrnehmen, selbst wenn es direkt vor ihrer Nase ist. Sie haben so viele Vorurteile, dass es sie völlig blockiert. Was aber ja nicht heißt, dass es nicht da ist, nur weil einige keinen Zugang dazu haben. Aber nun brauche ich eine verbindliche Eingabe!«, drängt Pino.
Mariam schaut gedankenverloren aus dem Fenster und macht im letzten Augenblick einen weiteren Vorschlag.
»Wir könnten uns auf die Spuren der Tempelritter begeben und den Gralskelch suchen.«
Mattis hebt seinen Blick, schaut sie mit erstaunten Augen an.
»Das wäre auch eine Möglichkeit! Um die Tempelritter ranken sich ja zahlreiche Legenden. Sie sollen den Heiligen Gral aufbewahrt haben. Pino, weißt du Genaueres über die Tempelritter?«
»Ja natürlich! Es war der mächtigste Geheimbund der Geschichte. Der Orden wurde 1119 gegründet und diente zum Schutze der christlichen Pilger, welche nach Jerusalem reisten. Sie waren die Begründer der Bank, damit die Pilger nicht ihr ganzes Geld auf Reisen mitnehmen mussten, das ihnen hätte gestohlen werden können. Im Tempel Salomos in Jerusalem war der Hauptsitz der Templer. Man sagte, sie besäßen auch den Kelch des letzten Abendmahls von Jesus mit seinen Jüngern. Die Schätze der Tempelritter sollen unermesslich gewesen sein. Sie verfügten über ein hohes Wissen und waren äußerst kluge Menschen. Die Bruderschaft verstand sich als Hüterin ewiger Weisheit. Das gefiel dem König von Frankreich und der Kirche gar nicht. Und so beschlossen sie, den Templerorden auszuradieren. Am Freitag, den dreizehnten Oktober 1307 stürmten Soldaten von König Philipp sämtliche Quartiere der Tempelritter in Frankreich. Die Mitglieder wurden gejagt und getötet. Der Großmeister Jacques de Moly wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Bund der Tempelritter wurde total zerschlagen. Der ganze Besitz ging an den König und die Päpste. Doch war es den Soldaten wirklich gelungen, alles zu zerschlagen, oder konnte ein Teil des Schatzes und das geheimen Wissens gerettet werden?«
Mariam und Mattis schauen sich entsetzt an.
»So brutal! Was glaubst du, Pino? Konnten einige Templer untertauchen und mit dem geheimnisvollen Schatz flüchten?«, fragt Mattis. »Um den Schatz der Tempelritter ranken sich bis heute viele geheimnisvollen Geschichten. Offenbar gelang es tatsächlich einigen Rittern zu entkommen und den Schatz – oder mindestens einen Teil davon – in Sicherheit zu bringen. Gefunden wurde er bis heute aber nicht.«
Mariam seufzt: »Jetzt wissen wir überhaupt nicht mehr, wohin die Reise gehen soll! Pino, starteten wir zu einer Zeitreise!«
»Aber ihr habt euch immer noch nicht entschieden, wohin!«
Mariam und Mattis beraten, können sich aber nicht entscheiden.
»Etwas Lichtvolles wollen wir erleben!«, antwortet Mariam schmunzelnd. »Ich gebe mal ›Zeitreise zu den Gralsrittern‹ ein«, macht Mattis den Vorschlag.
Mariam nickt zustimmend: »Also gut, dann mach das!«
Pino wartet geduldig und erzählt: »Es ist ja auch kein Zufall, dass ich gerade heute gekommen bin. Denn es gibt eine magische Pforte, die nur bei den großen Sonnenfesten offen steht. Bald ist Johanni. Das Fest der Sommersonnenwende ist am einundzwanzigsten Juni. Heute ist zwar erst der dreizehnte, für euch ist es die magische Zeit. Danach schließt sich die Pforte wieder bis zum einundzwanzigsten Dezember, denn dann ist die Wintersonnenwende.«
»So lange können wir nicht warten. Wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen, das Tor zu finden. Jetzt oder nie!«, fügt Mattis hinzu.
»Das klingt ja megaspannend, durch die geheimnisvolle Pforte zu reisen! Wir sind für die neue Zeit bereit!«, jauchzt Mariam.
Es kann losgehen
»Also dann starten wir die neue Zeitreise! Losfahren können wir erst, wenn ihr noch genauere Angaben im Bordcomputer eingebt«, wiederholt Pino nochmals.
Mattis tippt nervös auf der Tastatur herum.
»Ich finde es seltsam, dass alles, was ich eingebe, nicht passt«, brummt er vor sich hin.
Mariam hört Mattis mit seinem Problem gar nicht zu.
»Wir finden das mystische Tor bestimmt! Logisch, dass wir es nur mit einer Zeitreise finden können«, schwelgt sie in ihrer Abenteuerlust und schaut zu Mattis.
Mattis hebt den Blick: »Ja logisch!« Und versucht dann weiter, unter »Zeitreise« und »Heiliger Gral« einen passenden Hinweis zu finden. Anstatt sich auf ein wirkliches Ziel zu konzentrieren, fängt Mattis an zu philosophieren. Oder vielleicht ist es auch seine Taktik, von seinem Problem abzulenken, die passende Eingabe zu finden. Jedenfalls hat sich Pino noch keinen Meter bewegt.
»Die Zeit, gibt es die Zeit etwa?«, fragt er.
Mariam schaut ihn erstaunt an: »Natürlich gibt es die Zeit! Wir werden ja Jahr für Jahr älter und kommen eine Klasse weiter.«
Pino mischt sich ein: »Wir machen eine Zeitreise und halten die Zeit an. Die Zeit geht weiter, die Zeiger der Uhr drehen sich und drehen sich immerfort. Wir können den Augenblick nicht festhalten. Die Zeit existiert nicht!«
»Das glaube ich nicht!«, ist Mariams knappe Antwort.
»Wenn es die Zeit nicht gäbe, wäre alles auf einem Haufen: die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft!«, meint der schlaue Mattis.
»Es ist nicht die Zeit, es ist die Veränderung! Wir machen eine Zeitreise, kommen an einen Ort und haben das Gefühl, als wäre nichts dazwischen gewesen«, erklärt Pino.
Mariam schüttelt den Kopf und meint: »Pino, das ist mir echt zu kompliziert.«
Mattis, das Superhirn, überlegt und runzelt die Stirn dazu: »Vielleicht habe ich es doch verstanden. Wenn die Idioten von Staatsmännern mit ihren nuklearen Atombomben spielen, könnte das Ende der Welt näher sein als erwartet! Ein Knall und alles wäre vorbei!«
»Aber was hat das mit der Zeit zu tun?«, fragt Mariam. Sie wickelt eine Strähne, von ihrem dunklen Haar um den Finger und schaut Mattis herausfordernd an.
Pino mischt sich ein: »Ja, die Zeit ist ein sonderbares Ding!«
Mattis ist ganz hibbelig und rutscht auf seinem Sitz hin und her und lenkt von seinem Problem ab, weil er immer noch keinen passenden Befehl gefunden hat. Jedenfalls nichts, das Pino bewegen könnte loszufahren.
»Ich kann es kaum erwarten, wieder so eine spannende Reise zu starten. Wer träumt nicht davon, in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen! Und mit den neuen Technologien wird vieles möglich, wovon man früher nur träumen konnte.«
Mariam hört gar nicht zu. Ihre Miene hat sich verfinstert und sie reibt sich das Kinn. Dabei schaut sie aus dem Fenster und beobachtet die Menschen. Einige kommen näher und schauen den kleinen Pino von allen Seiten interessiert an. Eine gewisse Spannung herrscht im kleinen Auto.
»Ich bin gespannt auf die Reise. Mattis, mach endlich vorwärts und tippe endlich ein Ziel ein. Aber entscheide dich schnell«, meint sie und lehnt sich zurück.
Mattis wird ganz nervös, verschreibt sich und gibt weiter im Computer ein: »Reise in die Zukunft«, »Reise in die Vergangenheit«, »Reise zu geheimen Welten«. Doch er findet einfach nicht den passenden Hinweis.
Pino meint nicht ohne Stolz: »Wären wir auf die normalen Reisemöglichkeiten angewiesen, hätten wir Stunden oder Tage, Monate für so eine weite Reise. Die Welt ist riesig und was wir suchen, ist wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Aber ich bin Pino und kann die Zeit überlisten. Ihr wisst, wenn es brenzlig wird, immer den roten Knopf drücken. Dann werden wir unsichtbar und die Zeit existiert nicht mehr für uns.«
»Ja klar, das wissen wir, dann starten wir das Abenteuer!«, sagt Mattis.
»Pino, du kommst mir vor wie unser Lehrer!«, hänselt Mariam charmant.
»Noch eine letzte Frage habe ich. Wie stellst du das überhaupt an, dass wir beim Drücken des roten Knopfes unsichtbar werden können!«, fragt Mattis.
»Ich kenne das Geheimnis der Antimaterie. Steine, Wasser, Häuser – alles, was wir sehen, besteht aus Materie. Diese Materie gibt es nicht nur auf der Erde, sondern auch im Universum. Schaut man nachts in den Himmel, sieht man den Mond, die Sterne und weitentfernt die Planeten. Ohne Licht gäbe es kein Leben auf der Erde. Es wäre im Universum finster, kalt und leblos. Antimaterie ist eine Energiequelle und erzeugt weder Umweltverschmutzung noch Strahlung. Ein winziger Tropfen würde reichen, einen Tag lang eine große Stadt mit Energie zu versorgen. Es ist ein beinahe unerschöpflicher Energielieferant. Was glaubt ihr, wie sonst könnten wir unsichtbar durch Raum und Zeit reisen, ohne Kenntnis über dieses Geheimnis«, erzählt Pino wie ein Physiker.
»Wow, du bist ja ein ganz Superschlauer! Kein Wunder, dass alle danach forschen!«, lobt ihn Mariam.
»Reisen wir mit Lichtgeschwindigkeit?«, will Mattis noch wissen.
»Wenn die Physikstunde noch lange dauert, dann ist Abend. Pino, du kleines Ufo, flieg mit uns endlich los und suche für uns die Nadel im Heuhaufen. Die Zeit drängt«, wirft Mariam energisch dazwischen, vor allem weil sich immer mehr Leute um das kleine Auto scharen.
Inzwischen sind weitere unzählige Passanten stehen geblieben, schauen Pino erheitert an, als wäre er ein Ufo. Die einen laufen schnell weiter, die anderen geben ihre Kommentare ab.
»Das Auto ist ja wie eine Sardinenbüchse, da möchte ich mich nicht hineinzwängen!«, sagt ein großer Mann.
Ein cooler junger Mann steigt vom Fahrrad und schaut das Auto voller Interesse an. »Das Auto ist ein Wunderwerk, mit neuster Technik ausgestattet. Alles kann berechnet, gespeichert und abgerufen werden«, lobt er.
»Hey, ihr beiden Knirpse, was macht ihr in dem Auto?«, hören sie einen Dicklichen mit Brille sagen.
Mariam kichert: »Mattis, du Knirps, mach endlich vorwärts.«
»Ich brauche noch ein, zwei Sekunden!«
Pino wird ganz nervös.
»Mariam hat recht! Wir müssen schleunigst von hier verschwinden. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viele Leute, die uns anschauen! Mattis, gib irgendetwas ein. Damit wir hier einfach nur wegkommen!«
Nervös tippt Mattis ein: »Echte Weisheit«, »Sinn des Lebens« und … Mariam dreht sich mit entschlossener Miene zu Mattis.
»Los, starten wir endlich! Oder brauchst du noch eine Nachhilfestunde? Gib mal Gralskelch ein!«
»Pino, ich finde es überhaupt nicht lustig, dass du mit keiner Eingabe zufrieden bist!«, ächzt er.
Mattis versucht es weiter und tippt Mariams Idee ein: »Zeitreise zum Gralskelch«!
»Akzeptiert!«, sagt Pino.
Mattis macht große Augen und Mariam schmunzelt verschmitzt.
»Also, dann starten wir. Pino, wir sind bereit!«, jubeln sie.
Der Dickliche mit der Brille will gerade die Autotür öffnen und die beiden herausholen. Genau in diesem Augenblick fährt der kleine Pino los und reiht sich in den Verkehr ein. Da staunt der Dickliche, schimpft mächtig den Abgehauenen hinterher. Schützenhilfe bekommt er von einem Spindeldürren mit Hakennase.
»Unverschämte Jugend! Das haut mich echt um. Jetzt hauen die Knirpse mit dem Auto einfach ab!«, stottert der Dürre.
Nun geht ein richtiges Geschnatter los.
»Das muss der Polizei gemeldet werden«, sind sich am Ende alle Anwesenden einig.
Nur der junge Mann lächelt vor sich hin und besteigt sein Fahrrad. So ein cooles Auto. Ich wäre auch gerne damit abgehauen, denkt er.
Doch Pino und seine Mitfahrer hören es nicht mehr. Mit der Aussicht, nochmals so etwas Einmaliges zu erleben, beginnt das Abenteuer für Mariam und Mattis.
»Schnallt euch an, es kann turbulent werden.«
Trotz der Vorfreude ist etwas Unbehagen dabei, denn beide wissen, dass ungeahnte Herausforderungen auf sie warten.
Als die Polizei mit Sirene angebraust kommt, ist der kleine Pino mit seinen Auserwählten schon längst außer Sicht. In diesem Moment sind Mariam und Mattis sich nicht bewusst, dass sie in eine Zwischenwelt reisen werden, die alle Vorstellungskraft sprengt.
Auf der Autobahn reiht sich das kleine Auto geschickt in die Schlange der Autokolonne ein. Dann wird der Verkehr weniger und sie kommen zügig vorwärts. Eine Weile fahren sie die Autobahn entlang und sehen, wie die Stadt an ihnen vorbeifliegt.
Bei der nächsten Ausfahrt verlassen sie Autobahn. Zur Sicherheit schauen sie sich immer wieder vorsichtig um, ob der kleine Pino keine unnötige Aufmerksamkeit erregt hat. Viele Fahrer sitzen alleine im Auto. Einige Frauen kutschieren ihre Kinder herum. Zwei Kinder in einem Auto, das vor ihnen fährt, schneiden aus dem Rückfenster Grimassen. Mariam und Mattis spüren den Drang, darauf zu reagieren. Lassen es aber lieber bleiben.
Sie kurven durch gewundene Straßen und enge Gassen, dann fahren sie über eine Brücke und lassen das Stadtzentrum endgültig hinter sich. Die Einkaufsläden weichen, ältere Wohnhäuser tauchen auf. Die Straße wird einspurig. Dann folgt ein klassischer Fall von Verwirrung. Pino fährt durch ein Labyrinth von kleinen Straßen. Verkehrsschilder gibt es keine mehr. Je weiter sie fahren, umso abenteuerlicher wird die Umgebung. Hinter einer lang gezogenen Kurve tut sich vor ihnen eine schnurgerade Allee auf, von hohen Birken gesäumt. Sie müssen langsamer fahren, weil die Straße deutlich schlechter geworden ist.
Die geteerte Straße endet bald in einer Schotterstraße. Die Fahrt wird dadurch unglaublich holprig. Pino verlangsamt das Tempo. Er kriecht schon fast wie eine alte Schnecke über Schlaglöcher.
»Pino, was machen wir in dieser Gegend? Hast du dich verfahren?«, fragt Mariam erstaunt, aber freundlich.
»In diesem Tempo kommen wir nie an ein Ziel«, flüstert Mattis. Dann hält Pino an.
»Machen wir einen kleinen Halt! Ich muss meine Energie mobilisieren. Dieser Ort ist gut dafür!«, sagt er.
Die beiden sind einverstanden.
Plötzlich kommt Mariam in den Sinn, dass ihre Mutter mit dem Essen wartet: »Mattis, wir müssen uns etwas einfallen lassen, dass wir nicht nach Hause kommen.«
Mattis denkt kurz nach: »Ganz einfach, ich schreibe, ich gehe zu dir nach Hause zum Essen, und du schreibst, du kommst zu mir!«
»Gute Idee! Für solche Notfälle haben wir ja ein Handy!«, kichert Mariam.
Es dauert nicht lange, da liest Mariam die Nachricht ihrer Mutter auf dem Display. »Das nächste Mal kannst du es auch früher mitteilen, wenn du nicht zum Essen kommst. Ich habe bereits gekocht und schon alles warm gestellt. Das macht mich schon etwas sauer, wenn du dich so kurzfristig abmeldest!«
»Ich muss mit Mattis noch etwas Mathe büffeln. Nächste Woche habe wir eine große Prüfung. Wenn ich daran denke, bekomme ich schon Bauchweh und Kopfschmerzen. Ich konnte ja nicht im Voraus wissen, was wir für schwierige Aufgaben kriegen,« liest Mariam Mattis ihre Antwort vor. »Habe ich gerade geschrieben. Gelogen ist es ja nicht. Wir haben ja wirklich komplizierte Matheaufgaben zu lösen. Dazu brauchen wir wirklich den ganzen Nachmittag, um auf dem neusten Stand zu sein!«, kichert sie.
Mattis schubst sie an: »Du tischt diese Ausrede sehr glaubwürdig auf.«
Es dauert nicht lange, da kommt die Antwort der Mutter: »Mit so einem Eifer Mathe büffeln? So kenne ich dich gar nicht!«, liest Mariam.
Noch ein paar Nachrichten werden hin und her geschickt. Sicherheitshalber knüpft sie noch in die Mitteilung mit hinein, dass sie auch am Abend etwas später nach Hause kommen wird.
»Büffeln, nichts als büffeln für die Schule. Bis die Köpfe rauchen«, kichern die beiden.
Es braucht allerdings noch etwas Überredungskunst, doch zum Schluss haben es die Eltern geschluckt. Die beiden grinsen zufrieden und geben sich ein High Five.
»Geschafft! Nun kann es weitergehen!«, frohlocken sie. »Machen wir eine Zeitreise mit einem fliegenden Auto, das auch ein Ufo sein könnte, namens Pino!«, scherzt Mariam.
Auch Mattis ist voller Übermut: »An alle Bewohner ferner Galaxien: Wir starten unsere neue Zeitreise, wir kommen euch besuchen mit dem kleinen Pino! Also los, Pino, starten wir das Abenteuer! Wir sind an Bord!«
»Schaltet euer Handy aus, bevor wir durchstarten! Dann kann man euch nicht ausfindig machen!« Die beiden gehorchen. »In dieser einsamen Gegend beobachtet uns niemand! Seid ihr angegurtet? Wir heben ab zu unserem Flug ins Unbekannte!«
Drei der zwölf ganzseitigen Illustrationen:
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