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    Leseprobe "Elternratgeber - Kinder selbstbewusst begleiten – Wie Eltern die "copy-paste-Falle" vermeiden"

von Yngra Wieland

Taschenbuch, 200 Seiten, ISBN: 978-3-96050-017-9

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel - Huhn statt Ei: Worum geht ´s hier eigentlich?
2. Kapitel - Unterwegs: Schwangerschaft und Geburt
3. Kapitel - Versuch und Irrtum: Die ersten drei Monate
4. Kapitel - Ankommen und Aufwachen: Drei Monate bis ein Jahr
5. Kapitel - Abhängigkeit und Eigeninitiative: Ein bis drei Jahre, 1. Teil
6. Kapitel - Ich und die anderen: Ein bis drei Jahre, 2. Teil
7. Kapitel - Boxenstopp: Das eigene Innere Kind heilen
8. Kapitel - Der Horizont wird weiter: Drei bis sechs Jahre, 1. Teil
9. Kapitel - Die Sache mit dem Zorn: Drei bis sechs Jahre, 2. Teil
10. Kapitel - Der Ernst (!!!) des Lebens: Sechs bis zehn Jahre, 1. Teil
11. Kapitel - Die Macht der Ordnung: Sechs bis zehn Jahre, 2. Teil
12. Kapitel - Mama, kannst du mir bitte keinen Tee kochen?: 10 – 13 Jahre
13. Kapitel - Vom Festhalten und Loslassen: 14 – 18 Jahre

1. Kapitel - Huhn statt Ei

Worum geht ´s hier eigentlich?

„... wir brauchen Menschen, die die Väter immer wieder daran erinnern, wie schwer es ist, ein bewusster Vater zu sein und Menschen, die die Frauen daran erinnern, wie schwer es ist, eine bewusste Mutter zu sein.“

Robert Bly, Eisenhans

Selbstbewusst

Sie haben sich diesen Ratgeber gekauft. Das könnte bedeuten, dass Sie bereits eine ungeklärte Situation mit Ihrem Kind oder Ihren Kindern haben oder gut vorbereitet sein wollen, da Sie ein Kind erwarten.

Glückwunsch!

Warum? Nun, Sie holen sich Hilfe, anstatt dem Irrtum aufzusitzen, Sie müssten alleine mit der Aufgabenstellung fertig werden. Außerdem gehören Sie offensichtlich zu den Müttern oder Vätern, die sich Gedanken um den Umgang mit ihren Kindern machen und die die gröbsten Schnitzer vermeiden möchten. Vertrauen Sie darauf, dass Sie auf dem Weg sind, das Richtige für Ihr Kind zu tun. Das ist schon die halbe Miete.

Wir haben Fitnessberater, Schönheitsberater, Ernährungsberater, Steuerberater, Versicherungsberater, Welpentrainer und Katzenpsychologen, brauchen für alles und jedes eine Prüfung, eine Lizenz, einen Schein, doch bei dem Umgang mit unseren Kindern wird vorausgesetzt, dass jeder das von Natur aus kann.

Es gibt Schwangerschafts- und Geburtsvorbereitungskurse, aber keine „Wir-werden-bald-ein-Kind-haben-wie-gehen-wir-damit-um“-Workshops. Junge Frauen sitzen bei mir in der Praxis, wünschen sich Kinder. Und haben riesige Angst, Fehler zu machen; dem Druck von außen nachgeben zu müssen, dem eigenen Gefühl zu misstrauen, ungenügend zu sein und dem Kind keinesfalls gerecht werden zu können.

Ein Kind braucht, um unter den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen zu können, vor allem emotionale Geborgenheit und die Fähigkeit der Eltern, seine Gedanken, Absichten, Gefühle und Persönlichkeit zu erfassen und zu verstehen. Jedes Kind hat seine eigene Persönlichkeit und braucht Eltern, die diese erkennen, akzeptieren und unterstützen. Wenn Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren können, haben Kinder die besten Möglichkeiten, sich im Leben zurecht zu finden, unabhängig von Bildung, der gesellschaftlichen Schicht und auch materiellen Verhältnissen.

Der Wunsch, gute Eltern zu sein, setzt voraus, dass wir bereit sind, bei uns selbst zu beginnen. Der erste Schritt ist die Bewusstwerdung beider Eltern oder des erziehenden Elternteils. Wenn Eltern, am besten werdende Eltern, diesen Weg gehen, gewinnen sie im Ganzen, im Prozess der Bewusstwerdung: Die eigenen Blockaden und Verletzungen werden reflektiert und können heilen, das Kind profitiert in seiner Entwicklung und es gelingt die angestrebte gute Beziehung zwischen Eltern und Kind, eine Entspannung in der Familie, also eine win-win-Situation.

Wir Eltern reagieren im Umgang mit den Kindern meist unbewusst, geformt von unserer eigenen Erziehung, den Prägungen unserer Vorfahren, auf der Basis unserer Lebensmotive und unseres eigenen Charakters. Die unbewältigten und unbewussten Erlebnisse und Gefühle aus der Kindheit gestalten unser Erwachsenendasein und unseren Erziehungsstil. Daher ist es zunächst einmal Voraussetzung, das eigene Verhalten zu reflektieren. Es ist essentiell, übernommene Muster und Glaubenssätze, also unbewusst übernommene Anschauungen anderer, zu erkennen und, falls sich diese als hinderlich in Bezug auf unser Verhalten und unser Leben erweisen, aufzulösen. Manchmal erhält man im Verlauf dieses Prozesses Geschenke in Form blitzartiger Erkenntnisse über das Entstehen dieser eigenen Verhaltensmuster, die helfen, besser mit uns selbst und unseren Kindern umzugehen. Manchmal dauert es ein bisschen länger, manchmal braucht es einen Impuls von außen. Haben Sie Geduld mit sich und gehen Sie liebevoll mit sich um. Wenn Sie gut für Ihr Kind - und übrigens auch für Ihren Partner oder Ihre Partnerin - sein wollen, müssen Sie sich zunächst selbst als den wichtigsten Menschen in Ihrem Leben annehmen.

Zeitgeist

Die Entwicklung Ihres Kindes ist ein ganzheitlicher Prozess, bei dem die eigene Persönlichkeit, die Prägung durch die Eltern, das Familiensystem und die Umwelt zusammenwirken.

In der Nachkriegszeit waren Disziplin und Durchhaltevermögen Werte, auf die „man“ achtete. Dann kam das Wirtschaftswunder und mit ihm neuer Reichtum. Mehr denn je regieren heute Gott Konsum und Göttin Leistungsdruck in jedem Lebensbereich unsere Gesellschaft. Die Emanzipation brachte den Frauen sowohl tatsächliche als auch trügerische Freiheit und zeigt sich heute leider auch in dem erdrückenden Erbe der Dreifachbelastung vieler Frauen. Anstatt Kinder, Küche, Kirche heißt es jetzt Kinder, Küche und Karriere und in jedem dieser Lebensbereiche will frau perfekt sein.

Alle diese gesellschaftlichen Umstände wirken auf uns ein, selbst wenn es beim Einzelnen kein Bewusstsein dafür gibt.

Die Männer haben es keineswegs leichter. Früher war ihre Rolle klar definiert, sie brachten das Mammut oder, etwas später, den Mammon nach Hause. Heute sollen sie massenhaft Geld verdienen, den Müll rausbringen, ins Fitnessstudio gehen, zuhören und ein Frühbeet im Kindergarten anlegen. Darüber hinaus haben sie in den meisten Bereichen ernsthafte Konkurrenz bekommen. Frauen können Reifen wechseln, den Schlagbohrer bedienen, Finanzmanagerinnen sein, Flugzeuge fliegen, Tische hobeln und Bundeskanzlerin werden. Selbst die Befruchtung kann ohne Männer vonstatten gehen.

All das führt bei vielen Männern zu tiefer Verunsicherung. Nun wird in diese Verhältnisse hinein ein Kind geboren. Jedes Kind bringt seine eigene Geschichte und seine individuelle Lebensaufgabe mit. Jedes Kind wird von seinem Umfeld und der Gesellschaft beeinflusst. Jedes Kind wird von der Tradition und der Geschichte seiner Herkunftsfamilie geprägt.

Zu viel oder zu wenig

Viele Kinder zeigen früh auffälliges Verhalten in Bezug auf ihr Essverhalten, im Umgang mit ihren Spielkameraden, sie rauchen und trinken weit über das „Ausprobieren“ hinaus. Bei zahlreichen Jugendlichen gibt es Hinweise auf psychische Auffälligkeiten wie Ängste, Zwänge, Depressionen oder Störungen im sozialen Kontakt. Der Nährboden dazu liegt im konfliktreichen und ungeklärten Familienklima, Zeitmangel und Desinteresse, Egoismus oder Materialismus der Eltern. Viele Kinder gehen ohne Frühstück und ohne Pausenbrote aus dem Haus, sie müssen selbstständig für ihr Mittagessen sorgen, in vielen Familien gibt es kein regelmäßiges, gemeinsames Familienessen, geschweige denn andere Familienrituale.

Das andere Extrem erfahren Kinder, die übermäßig beeltert werden. Überelterung bedeutet, dass den Kindern alles abgenommen wird und sie keine Möglichkeit haben, eine altersgemäße Herausforderung zu erleben, die sie aus eigener Kraft bewältigen können. Überbeelterte Kinder haben schlechtere Chancen, ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln.

Es ist kein Wunder, dass sich die beiden genannten Lebensumstände gleichermaßen ungünstig auf Kinder und Jugendliche auswirken.

Wenn ein Kind mit körperlicher oder seelischer Auffälligkeit reagiert, ist das zuerst einmal eine Reaktion auf die nächsthöhere Ebene im Familiensystem, also die Eltern. Treten Probleme mit einem Kind auf, braucht es in vielen Fällen zunächst eine Veränderung im Verhalten der Erwachsenen im Umgang mit dem Kind. Als Eltern geraten wir an unsere Grenzen, wenn und weil wir unseren eigenen Reaktionen ausgeliefert sind und sie als unkontrollierbar empfinden. Wir sind unbewusst in unseren Verhaltensmustern und Prägungen verstrickt.

Hilfe zulassen

Warum lesen Sie diese Zeilen? Vermutlich, weil Sie das Beste für Ihr Kind wollen und manchmal keine Ahnung haben, was und wie Sie es richtig machen sollen, weil Sie vielleicht Ihrer Intuition misstrauen oder verwirrt sind von den unzähligen Rat-Schlägen und Meinungen, die es zum Thema Kindererziehung gibt.

Kinder brauchen Grenzen, Kinder brauchen Regeln, Kinder brauchen Liebe, Kinder brauchen Freiheit, Kinder brauchen und brauchen und brauchen. Bis sie eines Tages von jetzt auf gleich beschließen, erst einmal keine Eltern mehr zu brauchen, auf und davon rennen und uns Eltern mit dem „Leeren-Nest“-Syndrom zurücklassen.

Aber zu diesem Thema kommen wir später. Zunächst brauchen Kinder viel und das ständig. Unterstützung beim Großwerden ist Arbeit! Wenn Sie diese Arbeit jedoch investieren, am besten so früh wie möglich, wird die Begleitung Ihres Kindes zunehmend leichter fallen und Sie können sich höchstwahrscheinlich viel Kummer, schlaflose Nächte, Streit, Stress und Kinderleid ersparen.

Wer Kinder stark für ihr eigenes Leben machen will, kommt keinesfalls daran vorbei, sich seiner Selbst bewusst zu werden und seine eigenen Themen anzuschauen. Das ist eine schwierige und manchmal schmerzhafte Arbeit, die sich jedoch vielfach auszahlt. Was ist erfüllender, als sein Kind selbstbewusst und sicher in die Welt gehen lassen zu können? Abgesehen davon ist es Wellness für die eigene Seele, ohne Altlasten durch das Leben zu gehen. Körperliche Hygiene ist weitgehend selbstverständlich geworden, an Psychohygiene mangelt es an allen Ecken und Enden. Seelenarbeit oder Therapie fällt leider noch viel zu oft in die Kategorie „Ich brauche das nicht, ich bin doch nicht verrückt!“. Wer das Wort Therapie scheut, mag sich vielleicht auf die Begriffe „Coaching“ oder „Prozessbegleitung“ einlassen, das klingt cool und ist in.

Jeder Erwachsene ist für sich selbst und sein Handeln verantwortlich. Wir leben in einer Zeit, in der sich jeder, Unterstützung und Hilfe holen kann, bei Therapeuten, Coaches, Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen. Viel Unglück für sich selbst und die Kinder kann vermieden werden, wenn Eltern endlich anfangen, sich mit ihren eigenen Themen auseinanderzusetzen.

Kinder spiegeln uns gnadenlos unsere Schwierigkeiten und Schattenseiten, sie konfrontieren uns mit unseren seelischen Problemzonen. Kinder tun das unbewusst, sie legen blind den Finger auf unsere wundesten Punkte.

Sie prüfen ohne Unterlass mit unglaublicher Beharrlichkeit unsere Belastbarkeit und testen, ob wir sie auch dann noch lieben, wenn sie uns an unsere Grenzen bringen.

Im schlechtesten Fall greifen wir in solchen Momenten auf Erziehungs- und Verhaltensmuster zurück, die wir selbst in unserer Kindheit erfahren haben oder wir machen vorsichtshalber alles ganz anders als unsere Eltern, was keineswegs unbedingt besser sein muss. Wir reagieren aus den Gefühlen unseres eigenen, verletzten Inneren Kindes heraus. Das Innere Kind steht symbolhaft für alle bewusst und unbewusst in uns gespeicherten Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen der eigenen Kindheit.

Wenn man dem ganzheitlichen Gedanken folgen will, muss man, um einen Problemkreis innerhalb der Familie zu unterbrechen, die Ursache anstelle des Symptoms verändern, also das Verhalten der Eltern, anstatt das des Kindes, das sich scheinbar falsch verhält.

Wie kann ich von mir selbst verlangen oder voraussetzen, meinem Begleitauftrag in bestmöglicher Form Folge zu leisten, wenn ich meine eigene Vergangenheit in keinster Weise bewältigt habe, wenn mein eigenes Inneres Kind, also der empfindlichste Teil meiner Seele, verletzt ist und wenn ich meine Ängste und blinden Flecken übersehe?

Bereits der Schweizer Psychiater C. G. Jung stellte fest, dass das ungelebte Leben der Eltern einen unermesslich starken Einfluss auf das Seelenleben eines Kindes hat.

+++ +++ +++

Textprobe:Yngra Wieland

© 2017 Franzius Verlag GmbH

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