Leseprobe "Und tschüss - Auf nach Kreta!"
von Sigrid Wohlgemuth
Taschenbuch, 510 Seiten, 35 Kapitel
inkl. 27 kretischen Rezepten
Heribert Zopes kocht …
Gemüse-Lasagne
Rohkostsalat mit Oliven und Schafskäse
Thunfisch vom Grill
Zaziki
Gemüseauflauf
Gefüllte Paprika mit Reisbeilage
Tintenfisch in Weinsoße
Zucchinibällchen
Schafskäse-Hackbällchen mit Knoblauch
Porree mit Zitronen-Ei-Soße
Garnelen Saganaki
Gemischter Salat mit Hähnchenbrustfilet
Lamm Juvetsi
Orangen Halva
Einfacher Kartoffelsalat
Lamm-Frikassee
Galaktompoúreko (Grießkuchen)
Grüne Bohnen mit Kartoffeln in Tomatensoße
Feta-Backwerk
Omelett mit Thunfisch
Käsedreieck (groß)
Schokoladenkuchen
Rosmarin-Kartoffeln
Kichererbsen-Taler
Gemüseauflauf mit Gehacktem
Skordalia
Heriberts Granatapfel-Traum
1. Kapitel
»Und tschüss!«, sage ich und schleudere einen Briefumschlag auf den Schreibtisch meines Chefs.
»Was haben Sie gesagt, Herr Zopes?« Herr Weißmüller, total verdattert, blickt paralysiert aufs Kuvert.
»Lesen Sie.« Ich schnippe mit den Fingern vor seinen Augen wie ein Hypnotiseur, damit er aus seiner Starre aufwacht, und sage dann nochmals: »Und tschüss.«
Flotten Schrittes eile ich zur Tür und schlage sie, zugegeben etwas heftig, zu. Staubflocken wirbeln vom Gummibaum herab, der im Flur steht. Ein paar von ihnen landen auf meiner Krawatte. Ich zerre den Schlips herunter, schmücke damit die langsam braun werdenden Blätter, denn niemand kümmert sich um den armen Kerl. Nie wieder würde ich einen Kehlkopfquäler um den Hals binden. Gerade als ich in meinem Büro verschwinde, höre ich, wie die Chefbürotür aufgerissen wird. Eilige Schritte hallen durch den Gang. Offenbar ist Weißmüllerchen ins Leben zurückgekehrt. Sehr sogar, denn so flott habe ich ihn selten sprinten gesehen, geschweige denn gehört. Ein extrem sportlicher Typ. Statt seinen Bizeps und Ausdauer zu trainieren, hockt er bis in die späten Abendstunden wie angenagelt auf seinem Hinterteil, um uns, seine Untergebenen, auf die feinste Art zu delegieren. Fällt die Genugtuung aus, vergräbt er sich hinter einem Aktenstapel, wohl auf der gedanklichen Suche nach attraktiven Schikanen. Schon baut er sich vor mir auf.
»Herr Heribert Zopes. Was ist denn mit Ihnen los?«
»Ich gehe.«
»Und morgen sind Sie pünktlich wieder an Ihrem Platz.« Eher ein Befehl, als eine Frage.
»Haben Sie meinen Brief nicht gelesen?«
»Nein.«
»Gekündigt. Fristlos!«
Ich stürme an ihm vorbei in den anliegenden Raum. Schüttle die Kopierpapierpakete aus dem Karton, die daraufhin auf den Boden knallen. Wurscht! Stolz trage ich die erbeutete Kiste ins Büro und packe persönliche Sachen ein. Herr Weißmüller schnauft. Auf seiner Stirn glänzen Schweißperlen.
»Herr Zopes. Nehmen Sie bitte Platz und lassen Sie uns in aller Ruhe darüber reden. Sie können nicht aus heiterem Himmel Ihren Job kündigen. Was ist denn vorgefallen?«
Nun, ich kann den Mann verstehen. Das ist wohl in seinem dreißigjährigen Berufsleben das einschneidendste Ereignis. Abgesehen von seinen Intrigen, die sein jämmerliches Dasein aufhellen. Wahrscheinlich auch privat, denn er gehört zu der Spezies der eingefleischten Junggesellen. Und auf einmal kommt der sonst korrekte Mitarbeiter Heribert Zopes in sein Büro reingeschneit und behauptet mal eben: »Und tschüss.«
Ich möchte nicht abstreiten: ein ziemlich herrisches Auftreten. Im Moment fehlt mir das gewisse Einfühlungsvermögen, der Erwartung eines Jeden an mich gerecht zu werden. In mir brodelt ein Vulkan. Ich will diesen Schritt durchziehen, solange ich die Courage dazu besitze. Dennoch bin ich alles andere als sicher, ob ich den richtigen Weg beschreite. Und schon schmettere ich ihm entgegen:
»Ich hab keinen Bock mehr!«
»Bitte, Herr Zopes, nehmen Sie doch Vernunft an«, fleht Weißmüllerchen.
Vor der geöffneten Tür hat sich inzwischen das gesamte Personal eingefunden. Aus den Augenwinkeln beobachte ich erschrockene, vereinzelt heitere Gesichter. Diese hinterhältigen Schleimscheißer!
Meine Güte, bin ich gut drauf. Ein solches Wort kam in meinem bisherigen Sprachgebrauch nicht vor. Fahr dich runter, Heribert. Das reinste Glücksgefühl, als ich das Kündigungsschreiben dem Weißmüller auf den Tisch geschmissen habe. Nun gewinnt die Schwärze der letzten Wochen Oberhand. Eigentlich ist alles um mich herum in Schwarz getaucht. Ausgenommen mein in Grautönen gehaltenes Büro. Jeder, der mir in die Quere kommt, nervt. An niemandem lasse ich ein gutes Haar.
Nicht alle Kollegen haben etwas gegen mich, auch wenn ich mich ständig von ihnen distanziere. Mein Interesse am Bürotratsch ist gleich Null. Angekreidet wird mir, dass ich die Pausen auf die Minute genau einhalte. Das gehört bereits der Vergangenheit an. Im Augenblick zählt, dass ich meine gesamte Existenz infrage stelle.
Weißmüller gehen die Argumente aus, er wendet sich an seine Mitarbeiter: »Kann mir bitte jemand von Ihnen erklären, was mit Herrn Zopes los ist? Habe ich irgendetwas verpasst?«
»Weißmüller, du versäumst dein ganzes Leben in diesem veralteten Büro, mitten in der Kölner City. Dort unten vor der Tür, nicht hier im achten Stockwerk findet das Leben statt.« Das sollte ich ihm zum Abschied sagen. Schnell entscheide ich mich eines Besseren. Jeder muss selbst wissen, was er aus seinem Leben macht. Für mich ist die Zeit der Veränderungen gekommen. Den ersten Schritt habe ich getan, die Schwärze bekommt dadurch weiße Flecken. Ich räume weiter die Schubladen aus. Die Kollegen zischeln untereinander. Niemand traut sich einen Schritt näher, Weißmüller schüttelt unentwegt den Kopf. Der Geruch abgestandenen Kaffees schwebt in der Luft.
Du kannst Weißmüller nicht in Ungewissheit sterben lassen, denke ich sarkastisch. Ein Vorgesetzter mit einer bestimmenden Art, doch immer nett zu dir. Der beste, nein, mein einziger Chef, seitdem ich im Berufsleben stehe. Ich sehe auf, direkt in seine nervösen Augen.
»Sechser im Lotto!« Ob er mitbekommt, dass ich mir das Lachen kaum verkneifen kann?
Ein Kollege ist im Begriff, sich auf mich zuzubewegen. Ich werfe ihm einen scharfen Blick zu. Daraufhin mischt er sich wieder unter die anderen. Obwohl: Mit dem Mitarbeiter hätte ich mir eine Freundschaft vorstellen können. Nie dazu gekommen. Egal. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass Weißmüller trocken schluckt, seine Fliege dabei lockert.
»Aber ...«, stottert er, »wieso haben Sie das nicht gleich gesagt. Meinen Glückwunsch. Dafür brauchten Sie nicht eine solche Show abzuziehen, schließlich sind wir all die Jahre gut miteinander ausgekommen. Ich gönne Ihnen den Gewinn.«
Er kommt näher. Hallo! Der will mich jetzt nicht etwa umarmen? Abrupt bleibt Weißmüller stehen. Ihm ist wohl selbst eingefallen, dass wir keine Buddys sind. Richtig! Vorgesetzter und Angestellter; klare Grenzen. Dann sehe ich das missgünstige Schimmern in den Augen meiner Mitmenschen.
»Es war ein Witz!«
Hoffentlich fällt den Neidern alles aus dem Gesicht, ganz besonders den Botoxverseuchten. Diese gehässige Art an mir ist neu. Wieso schleichen sich auf einmal solch boshafte Gedanken in mein Denksystem?
»Herr Zopes, so so, Sie scherzen nur!« Weißmüller fängt sich. »Darf ich den wahren Grund erfahren? Meinen Sie nicht, nach Ihren zweieinhalb Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit habe ich ein Anrecht darauf?«
»Ich habe einfach keinen Bock mehr.«
»Bitte?«
»Was ist daran so schwer zu verstehen? Ich sitze fünf Tage in der Woche hier in meinem mausgrau gestrichenen Büro, an meinem grauen Schreibtisch, mit der gleichfarbigen Lampe, an der ich mir mindestens zehnmal täglich den Kopf stoße. Doch ohne künstliches Licht geht im trüben Köln ja nix. Und wenn die Sonne mal scheint, muss ich die leichenblassen Rollos runterziehen, ansonsten unerkennbarer Bildschirm. Das Kantinenessen ist teilweise unter aller Würde.«
Ich schiele auf die Kollegen. Manche stimmen meiner Aussage mit einem Nicken zu, die anderen ziehen eine Grimasse. Niemals zuvor hat mir das Kantinenessen etwas ausgemacht. Nicht gerade »Haute Cuisine«, doch genießbar. Und der Grauton im Büro ist mir, um ehrlich zu sein, einerlei. Einzig und allein von Bedeutung, dass ich mein Arbeitspensum täglich erreiche. Der Anstrich spielt dabei keine Rolle. Ganz zu schweigen von den Möbeln, auf denen sich eh die Aktenberge häufen und die Kolorierung verdecken. Bin selbst verblüfft über meine Ausführungen.
»Das ist kein ausreichender Grund, seinen Job von jetzt auf gleich an den Nagel zu hängen«, meint Weißmüller.
»Ich habe gerade erst mit dem Hinschmeißen angefangen.« Ich hole tief Luft, um genug Atem für meine Rede zu haben. Stocke. Passende Worte bleiben aus, die auf den Punkt genau die Sachlage wiedergeben könnten.
Fakt ist: Ich befinde mich in einem Gefühlschaos. Das kürzliche Fremdgehen meiner Frau: Der erste Auslöser für die Schwärze, die mich seither gefangen hält. Händeringend suche ich einen Ausweg aus dem Dunkel. Den Job zu schmeißen, kam mir nach der letzten schlaflosen Nacht als Fortsetzung der Veränderungen in den Sinn. Der wahre Grund geht weder meinen Chef noch die Kollegen etwas an.
Fertig mit dem Packen. Klemme den Karton unter den Arm und bahne mir einen Weg aus dem Büro. Weißmüller schreitet hinter mir her, hält mich am Arm zurück. Beim Umdrehen steigt mir sein Schweißgeruch in die Nase.
»Kommen Sie in mein Büro. Zusammen finden wir eine Lösung.« Geht voraus, wendet sich um. Wahrscheinlich zur Sicherheit, dass ich ihm folge.
Ich denk nicht daran. Stattdessen stimme ich den Reinhard Mey Song an: »Gute Nacht, Freunde, es ist Zeit für mich zu geh´n.« Und setze nach: »Es liegt nicht an Ihnen oder am Job, sondern ausschließlich an mir persönlich.« Mit Mühe finde ich versöhnliche Worte. »Danke für die Berufsjahre, die wir gemeinsam gemeistert haben.«
Mitarbeiterhälse recken sich, ich habe wohl zu leise gesprochen.
»Tschüss.« Ein Winken, während ich den Karton zwischen Kinn und Hand balanciere. Gehe zum Fahrstuhl, drücke den Knopf. Die Tür der Eingangshalle schließt sich hinter mir. Nie mehr würde ich einen Fuß über diese Schwelle setzen. Ein Schwur. Insgeheim geht mir die Flatter, weil ich keinen blassen Schimmer von meiner Zukunft habe. Nach einigen Metern, vor dem Gebäude, stellt sich eine gewisse Erleichterung ein. Ein Teil der Anspannung fällt von mir ab. Beschwingt, weil ich Mut bewiesen habe, einen derart gewagten Schritt zu gehen. Und das ist erst der Anfang!
2. Kapitel
Mein Weg führt mich am Kölner Dom vorbei. Vor dem Haupteingang findet eine Demonstration gegen genmanipuliertes Gemüse statt. Fraglich, ob die Politiker sich wachrütteln lassen, endlich kapieren, was auf dem Spiel steht, oder die Macht des Geldes die Oberhand behält.
Ein Touristenschwarm sammelt sich. Das Auge auf dem Sucher und den Finger am Auslöser, um Fotos von dem eindrucksvollen Bauwerk zu machen. Manche von ihnen machen einen Bogen um die Kundgebungsteilnehmer, um ins Innere des Doms zu gelangen. Ich zwänge mich mitten durch die Menge. Eine junge Frau hält mir eine Broschüre entgegen, redet auf mich ein. Ich wiegle ab. Im Moment fehlt mir das Interesse, auch noch die Welt ändern zu wollen. Ich habe genug mit mir selbst zu tun. Fraglos egoistisch, doch im Augenblick alternativlos.
In einer Nische vor dem Hauptbahnhof neben dem Dom hockt ein Mann, eingewickelt in einen Schlafsack. Ein Schäferhund Mischling liegt daneben. Die Schnauze tief auf dem Boden, sieht er mich mit traurigem Blick an. Vor ihm ein ausgebeulter Hut mit einer Karte: »Magst du mir etwas zum Fressen geben?«
Ich setze den Karton auf den Boden. Streife meine goldene Uhr ab, die ich zum fünfundzwanzigsten Dienstjubiläum erhalten habe, und reiche sie dem Mann. Mein letzter Schritt der beruflichen Befreiung. Verdutzt sieht mich der Mann an, greift allerdings nicht nach der Uhr.
»Nehmen Sie ruhig. Die bringt ein paar Euros beim Pfandverleih. Und kaufen Sie sich und Ihrem Hund davon etwas zu essen. Oder schlafen Sie mal in einer anständigen Unterkunft.« Fest drücke ich ihm das gute Stück in die schmutzige Hand. Ohne auf ein Dankeschön zu warten, hebe ich meine Bürosachen an und bin im Begriff zu gehen. Bleibe jedoch stehen und setze alles ein weiteres Mal ab. »Falls Sie Schwierigkeiten haben, das Ding einzulösen, soll der Händler mich anrufen.« Nicht, dass der arme Kerl meinetwegen in den Knast kommt, weil Diebstahl angenommen wird. Aus der Anzuginnentasche ziehe ich meine Visitenkarte und einen Stift. Schreibe eine kurze Notiz. Die reiche ich ihm.
»Danke«, flüstert er.
Eilig verschwinde ich in Richtung Gleise. Mein Zug steht zur Abfahrt bereit. Der Schaffner ist gerade dabei, das Signal zu geben. In letzter Sekunde springe ich hinein. Sofort schließt sich die Tür. Schnell bringt die Bahn mich meinem langjährigen Zuhause näher. Die letzten Meter laufe ich zu Fuß. Ein Umzugswagen parkt am Straßenrand. Ich lege einen Schritt zu, winke dem Fahrer.
»Sie sind früh dran«, keuche ich.
Der Mann grüßt, indem er seine Mütze kurz lüftet. Sein Beifahrer steigt aus. »Na, dann wollen wir mal.« Spuckt in die Hände, reibt sie aneinander. Die beiden folgen mir ins Haus.
»Nur die Möbel, an denen Zettel hängen. Alles andere bleibt.«
Sofort fangen sie an, die Teile hinauszutragen. Im oberen Stockwerk schlüpfe ich aus dem Anzug in bequeme Jeans und Sweatshirt. Helfe den Packern. Nach wenigen Stunden ist der Laster voll beladen. Das Innere des Hauses gleicht einem Lochmusterpullover, einige Maschen sind abhandengekommen. Ich schreite durch die Räume. Nehme am Ende meiner Besichtigung vom Küchentisch einen Block und schreibe folgende Worte darauf: »Und tschüss!«
Als letzte Tat ziehe ich meinen Ehering vom Finger und klebe ihn mit Tesafilm daran. Die Nachricht deponiere ich im Kühlschrank vor einer Flasche Wein. Zum letzten Mal an diesem Tag schließe ich eine Tür, ohne mich umzusehen. Auf meiner imaginären Liste in Sachen Lebensveränderung kann ich einen weiteren Punkt als erledigt abhaken. Der Weg zum Licht am Ende des Tunnels ist somit verkürzt. Ich steige in meinen BMW und fahre dem Umzugswagen hinterher.
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