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Cover Der Erwählte - Wie die Tagebücher von Thomas Mann verschwanden von Torsten Schmandt    Leseprobe "Der Erwählte"

Wie die Tagebücher von Thomas Mann verschwanden

von Torsten Schmandt

Taschenbuch, ca. 248 Seiten, ISBN: 978-3-96050-251-7

Inhalt
1. Am Brunnen
2. Mario und der Zauberer
3. Der Hochstapler
4. Ankunft
5. Golo
6. Leiden und Größe Richard Wagners
7. Katia
8. München
9. Die Begegnung
10. Der Brief
11. Mythus
12. Sanary
13. Amerika
14. Meerfahrt mit Don Quijote
15. New York
16. Geld
17. Das Wunderkind
18. Deutschland erblüht 178
19. La formation de l'homme moderne
20. Der sechzigste Geburtstag
21. Noch einmal Amerika
22. Betrachtungen eines Unpolitischen
23. Der offene Brief

1. Am Brunnen

»Was ist das?«

»Eine Einladung … es sieht wenigstens aus wie eine Einladung.«

»Vom Goebbelsministerium? Ich hoffe, das bedeutet etwas Gutes, Herr Smetana.«

»Oder wenigstens nichts Schlimmes, nicht wahr? Wenn ich es mir allerdings richtig überlege, sollte ich nicht von einer Einladung reden. Im Grunde ist es ja doch immer ein Befehl.«

»Natürlich, man erwartet Gehorsam von Ihnen. Etwas anderes kommt wohl nicht in Frage.«

»Nein, etwas anderes kommt nicht in Betracht. Da haben Sie mit Sicherheit Recht, Frau Hartleib. Aber was kann das Ministerium von mir wollen?«

»Nun, machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Smetana. Es wird sich schon alles finden.«

Dieses Gespräch, dessen weiteren Verlauf ich überspringe, fand im April des Jahres 1933 in Emi Hartleibs Küche statt, wo sie ihren Untermieter Jan Smetana mit Kaffee und einer Schmalzstulle regalierte, wie sie es einstmals mit ihrem Ehemann getan hatte, bevor dieser an einer Lungenkrankheit einging, die er sich im Laufe seines Berufslebens als Stukkateur eingehandelt hatte. Karl Hartleib hatte seiner Frau ein paar Ersparnisse und eine Witwenrente hinterlassen, die sie aufbesserte, indem sie eines der Zimmer möbliert vermietete. Seit dem Ableben ihres Mannes hatte eine Gemütsverdunkelung von ihr Besitz ergriffen, so dass sie von Gefühlen weitgehend befreit war. Sie empfand weder Wut, Freude, Neugier noch Trauer, — oder wenigstens in einem so geringen Maß, dass ihr Handeln zumeist von Gleichmut und nüchterner Überlegung geprägt war. Kurz gesagt, konnte man sich eine bessere Vermieterin nicht wünschen.

Das Zimmer, das Jan Smetana bei ihr bewohnte, war klein, aber behaglich, auf praktische und solide Weise möbliert und verfügte sogar über einen eigenen Ofen — ein Vorzug, den seine vorige Bleibe nicht aufzubieten hatte. Sein schmales Salair, das er als Aushilfsdozent am germanistischen Institut der Humboldt-Universität bezog, reichte für eine eigene Wohnung nicht hin, im Grunde reichte es nicht einmal für das möblierte Zimmer bei Emi Hartleib und warum er dennoch ihr Mieter geworden war, wird noch zu klären sein.

Wenige Tage nach dem Küchengespräch sehen wir Jan Smetana unter dem blauen Aprilhimmel Berlins die Französische Straße entlangwandeln, — etwas vornüber gebeugt und mit dem unregelmäßigen Schritt, der ihm eigentümlich war. Indem er die Brauen zusammenzog, blickte er seitwärts geneigten Kopfes ins Weite. Die Luft strich kühl über sein frisch rasiertes Gesicht und manchmal fiel ihm ein Tropfen in den Nacken, denn die Bäume und Sträucher, die sich über die schmiedeeisernen Zäune beugten, waren noch nass vom nächtlichen Regen. Berlin leuchtete frisch und jung und auch Smetana hatte sich herausgeputzt, so gut es ihm eben möglich war. Über einem weißen Stehkragenhemd trug er ein ausgeblichenes Jackett; das Parteiabzeichen (anstatt ans Revers geheftet) hing ihm an einer bronzierten Schnur um den Hals. In der Brusttasche steckte der schriftliche Befehl, sich um neun Uhr im Prinz-Karl-Palais zu melden. In dem Schreiben war lediglich von einer ‚Einladungdie Rede. Doch das änderte natürlich nichts. Der Absender des Briefes erwartete — wie Emi Hartleib angemerkt hatte — Gehorsam und Jan Smetana hatte nicht die Absicht, die Erwartung zu enttäuschen. Er bog auf den Wilhelmplatz ein und ein Stoß Sonnenstahlen funkelte über das Portal. Erst vor kurzem war das Palais zum Sitz des frisch ins Leben gerufenen Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda auserkoren worden. Die Aura von Macht und Größe verfehlte ihre Wirkung nicht. Smetana zweifelte, ob er geradewegs durch den Haupteingang spazieren durfte oder ob er dann mitirgendeiner Wache in Konflikt geraten und sich eines Vergehens schuldig machen würde. Da aber kein anderer Eingang zu entdecken war, zog er den schweren hölzernen Türflügel auf, der ihm entgegenglitt wie ein Schiff. Er ließ den lichtdurchfluteten Apriltag hinter sich und nachdem seine Augen sich an das im Vestibül herrschende Halbdunkel gewöhnt hatten, fand er sich zu seiner Überraschung auf einer Baustelle wieder. Von irgendwelchen Wachposten war nichts zu sehen. In der Mitte der Halle wuchs ein Brunnen aus dem Boden, den eine reliefartige Darstellung einer behelmten Gottheit auf einer Quadriga schmückte. Zwei Klempner schraubten an den Zuleitungen herum, um das Pumpensystem für den Wasserkreislauf in Betrieb zu setzen. Im Hintergrundschleppten Handwerker Kisten und Kartons eine Freitreppe hinauf und verschwanden wie Schattenwesen mit ihrer Last in düsteren Korridoren. Smetana trat an den Brunnen heran und vom Aufbau des Brunnens vor den Blicken der Klempner beschirmt, wandte er, einer literarischen Erinnerung folgend, das Gesicht empor zum Oberlicht, die Oberarme hielt er an den Flanken, die unteren aber aufgerichtet, mit offen nach außen und oben gekehrten Handflächen, und während er sich im Stehen leicht hin und her schaukelte, bewegte er die Lippen ,als forme er Worte und Laute. Unter keinen Umständen hätte er sich erlaubt, dem unsinnigen Einfall zu folgen, wenn er die Blicke geahnt hätte, die sich auf ihn und über ihn richteten. In der Pförtnerloge nämlich thronte auf einem Polsterstuhl eine wulstige Gestalt und funkelte missbilligend aus blauen Augenschlitzen. Eine Schreibtischfunzel goss gelbes Licht über das Gesicht des Mannes, in dem die Spuren eines zweiten Frühstücks zu sehen waren. Nachdem Smetana ihn bemerkt und ihre Blicke sich getroffen hatten, fegte der Mann mit den Händen Krümel aus dem Gesicht und von seiner farblosen Uniformjacke, faltete das Butterbrotpapier zusammen, schob den Deckelbecher seiner Thermoskanne zur Seite und winkte schließlich dem Besucher, näher heranzukommen. Smetana war aus seiner Pose gefahren und in sich zusammengeschrumpft. Gleichsam gebückt trat er vor die Loge und bemühte sich um eine unschuldige Miene. Der Pförtner räusperte sich und ruckte das Koppel zurecht, das beim Frühstück über den Bauch nach oben gerutscht war.

Was Smetana hier wolle, bellte er.

»Zum Referenten Hanke.«

»So, zum Herrn Referenten möchte er. Was denkt er denn? Bildet er sich ein, er könne hier hereinspazieren und am besten auch gleich zum Herrn Referenten vorgelassen werden? Ist er dieser Meinung?«

Smetana nahm Haltung an und verneinte, solche Dinge im Sinn gehabt zu haben. Er könne jedoch ein Schriftstückvorweisen, das sein Vorstellig-Werden und sein Ansinnen erklären, wenn nicht sogar rechtfertigen werde.

»Das geschwollene Reden kann er sich sparen«, raunzte der Pförtner, nachdem er das Schreiben mit zusammengekniffenen Augen inspiziert und ein gewaltiges Protokollbuch aufgeschlagen hatte, um Smetanas Namen einzutragen.

»Warten Sie beim Brunnen, bis ein Amtsdiener Sie abholt; aber diesmal ohne die Fisimatenten von eben; wir sind hier kein Kasperletheater«, befahl der Mann, während er bereits seinen wulstigen Zeigefinger in die Wählscheibe des Haustelefons bohrte.

Bevor ich Smetanas ersten Kontakt mit dem Goebbelsministerium schildere, seien in einem kurzen Einschub noch ein paar Details zu seiner Person hinzugefügt, damit man deutlicher sieht, mit wem man es hier zu tun hat. Nachdem Smetana, wie ein befreundeter Kollege geraten hatte, in die NSDAP eingetreten war, wurde er bald darauf zu einem Ortsgruppentreffen einberufen. Auch in diesem Fall galt das offizielle Wort von der »Einladung«, ohne dass Smetana dem Glauben anhing, ihm stehe die Entscheidung frei, ob er bei dem Treffen erscheine oder nicht. Der Bierkeller, in dem die Sitzung stattfand, machte einen auf den ersten Blick zivil-gastlichen Eindruck, war aber hauptsächlich von SA-Leuten besucht, die Smetana Angst machten. Von diesem Menschenschlag wollte er Deutschland eigentlich nicht in die Zukunft geführt wissen. Die von Bier und Wurstspeisen aufgedunsenen Gesichter waren genau die gleichen wie auf den Bildern von George Grosz, dem Maler, den sie am liebsten sofort an der Straßenlaterne aufgeknüpft hätten. Der Termin nahm rasch den Charakter einer Musterung an und die Kommission, zwei specknackige Männer und eine mit Reitstiefeln bekleidete Frau, die von den Männern als Herta angesprochen wurde, stellte ohne Wohlwollen fest, man dürfe wohl davon ausgehen, dass er sich Deutschland und der Partei nützlich machen wolle, auch wenn er für den »Außendienst« kaum in Betracht komme. Er sei, stellte man mit Blick auf seine Konstitution fest, eher ein Fall für Logistik und Organisation. Ob er über Ortskenntnisse verfüge, fragte einer der Specknackigen und in dem Verlangen, vor diesen Leuten nicht als gänzlich minderwertig dazustehen, bejahte Smetana, ohne zu ahnen, wie bald man schon seine vorgeblichen Fähigkeiten für sich nutzbar machen wollte. Bereits im Februar wurde er für Planungen und Vorbereitungen herangezogen, deren gewaltsame und blutige Ziele, als die Ausmaße ihm nach und nach zu Ohren kamen, ihn abschreckten. Allerdings waren seine Ortskenntnisse nicht so genau, wie man erhofft hatte. Bei Einsätzen im Roten Kiez in Charlottenburgwaren SA-Trupps in brenzlige Situationen geraten, woran, wie man bei den anschließenden Einsatzbesprechungen andeutete, Smetanas Vorarbeit nicht ganz unschuldig gewesen sein sollte. Der gröbste Patzer jedoch unterlief ihm, als er die Adresse eines gewissen Heinrich Mann auskundschaften sollte, weil man dem roten Dreckskerl einen Denkzettel an die Fresse heften wolle. Smetana war im Telefonbuch fündig geworden, doch wie sich herausstellte, wohnte dort nicht di eSchriftsteller-Canaille, sondern ein pensionierter Versicherungsangestellter und Kirchensänger gleichen Namens. Trotz der Fehlschläge verhalfen ihm seine neuen Parteifreunde zu einer ordentlichen Stube mit Kohleofen, ohne dass er mehr Miete bezahlen musste als vorher für die Dachkammer, die seit Jahren sein Zuhause gewesen war. Dass sich Smetana nur um organisatorische Fragen kümmerte, soll nicht als Entschuldigung verstanden werden. Jan Smetana wurde zum Mitläufer (oder sogar mehr als das). Ich bin der letzte, der dem widersprechen wird. Dennoch füge ich hinzu, dass er, als er sich das Ausmaß der gewaltlüsternen Exzesse vor Augen führte, es mit der Angst zu tun bekam. Vor sich selbst nahm er bei der Rechtfertigung Zuflucht, dass zum Wohle Deutschlands der Kampf vorerst nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße gewonnen werden müsse. Später werde sich die Lage mit Sicherheit stabilisieren und beruhigen. Wie man sieht, handelt es sich bei Jan Smetana um keine Ausnahmeexistenz. Vielleicht lässt er sich als deutscher Durchschnittscharakter bezeichnen, dessen Geschichte nicht seinetwegen erzählt werden soll (nein, an ihm liegt nicht viel), sondern wegen der besonderen Ereignisse und der großen Namen, die für eine kurze Zeit seinen Lebensweg kreuzten.

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Textprobe: Torsten Schmandt

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